Die hässlichste Tanne der Welt (German Edition)
Holzkommode mit zahlreichen Schubladen. Obendrauf eine längliche Holzschale mit Nüssen. Insgesamt ein sympathisches Sammelsurium, das weniger repräsentativ als gemütlich wirkt.
Churchill stürmt auf ein unförmiges Etwas zu, das unter dem Couchtisch auf dem Teppich liegt, schnappt es und bringt es den Jungs.
«Das ist sein geliebter Kauknochen», erklärt Friedrich und wendet sich dann an uns. «Ich möchte euch gerne etwas zeigen.» Er schreitet voran zur Kommode, über der gerahmte Fotos an der Wand hängen.
Katja wirft mir hinter Friedrichs Rücken einen genervten Blick zu, als befürchte sie, ein dickes Familienalbum mit Bildern von allen möglichen Festivitäten bewundern zu müssen.
Doch Friedrich nimmt nur einen Rahmen von der Wand und reicht ihn Katja. «Sie erinnern sich bestimmt an meine verstorbene Frau?»
Katja nickt. «Und an die leckeren Schnittchen, mit denen sie uns während des Lernens immer versorgt hat.» Sie stockt und starrt auf das Bild.
Ich luge über ihre Schulter und sehe auf dem Foto Erika, die einen Baum pflanzt. Jemand hat mit Filzstift dazugeschrieben:
Mama pflanzt eine Coloradotanne.
«Das war vor vierzehn Jahren», erklärt Friedrich.
Katja schnappt hörbar nach Luft. «Steht die etwa hier am Haus?», fragt sie dann aufgeregt, als könne sie das Bäumchen aus dem Foto herausnehmen.
Friedrich nickt und deutet zur Tür, die nach draußen führt. «Inzwischen ist sie ziemlich gewachsen. Sie ist auch von hier drinnen zu sehen …» Er deutet zum Fenster. «Der große Baum, direkt an der Terrasse.»
Katja eilt ans Fenster, wir hinterher. Dort drückt sie sich fast die Nase platt, wie ein Kind an der Weihnachtsauslage eines Spielzeugladens. «Ist die schööön!», haucht sie ergriffen. «Genau so eine wünsche ich mir.»
«Ich schenke sie Ihnen!», sagt Friedrich.
Katja dreht sich abrupt um und starrt Friedrich fassungslos an. «Wie bitte?»
«Sie ist zu groß geworden, und bald werden ihre Wurzeln die Terrassenplatten anheben und lockern.»
«Aber … aber …», stammelt meine Tochter mit feuchten Augen. «Die hat doch Ihre Frau gepflanzt. Das ist ein Andenken.»
«Genau genommen war es ein Familienprojekt», antwortet Friedrich gelassen. «Früher haben wir sie in der Weihnachtszeit immer mit einer Lichterkette geschmückt.» Er blinzelt mir verschwörerisch zu.
«Sehr großzügig, Herr Hirsch», mischt Bernd sich nun ein. «Das Angebot nehmen …»
«Nein», schneidet Katja ihm das Wort ab. «Das Angebot können wir nicht annehmen. Ich würde doch auch kein Andenken an meinen Vater verschenken. Wir finden bestimmt eine im Forst. Und vielen, vielen Dank, Herr Hirsch, ich bin wirklich gerührt. Los Kinder, flotti Karotti zur Christbaumsuche.»
«Menno, wir wollen lieber mit dem Hund spielen», meckern Jan und Eric, die ihre Stiefel ausgezogen haben und mit Churchill um den Kauknochen ringen.
Erst als Friedrich anbietet, uns mit Churchill zu begleiten, springen die beiden hoch.
«Na dann, Schuhe anziehen …», weist Katja sie an, und bevor sie noch das übliche Kommando anhängen kann, kreischen die zwei: «Aber floootti Karoootti!»
Ich suche inzwischen das Badezimmer auf, dann kann es losgehen. Friedrich leint den Hund an und führt uns noch kurz ums Haus zur Coloradotanne.
Katja betrachtet sie ehrfürchtig. «Sie ist wirklich besonders schön.»
«Mein Angebot steht», betont Friedrich.
«Soll ich die Säge holen?», fragt Bernd, der hörbar keine Lust drauf hat, im dunklen Wald einen passenden Baum zu suchen.
Ach, Bernd, du müsstest deine Frau eigentlich besser kennen
, denke ich, und tatsächlich schüttelt sie nur wortlos den Kopf. Andenken an Verstorbene sind ihr nun mal heilig.
Der Weg in den Forst zur Plantage, wo die Bäume angeboten werden, ist keine 500 Meter weit. Bernd fährt mit dem Wagen vor, um die Tanne gleich auf dem Dach festbinden zu können. Wir anderen laufen das kurze Stück. Es hat aufgehört zu schneien, ich genieße die klare Luft und den Geruch des Waldes. Die Jungs sind wunschlos glücklich, sie würden auch fünf Kilometer laufen, solange sie den fröhlich springenden Churchill an der Leine führen dürfen.
Auch Friedrich bemerkt es zufrieden. «Der alte Knabe scheint richtig aufzublühen. Kinder sind nicht nur für alte Menschen ein Jungbrunnen.»
«Das unterschreibe ich sofort», stimme ich ihm zu. «Auch wenn die beiden Racker manchmal ziemlich anstrengend sind, fühle ich mich mit ihnen so jung wie sonst
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