Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
ich auf Anordnung des Professors einer psychotherapeutischen Behandlung unterziehen, und zwar hatte er für seine Tochter eine Gesprächstherapie und für mich eine Psychoanalyse vorgesehen. Coras Mutter fuhr mit uns zu Ausstellungen, besuchte mit uns Konzerte und Theateraufführungen und versuchte, uns jeden Mittag mit einem italienischen Essen zu empfangen.
     
    Carlos Beerdigung fand erst Wochen nach seinem Tode statt. Zum einen hatten die Pathologen offensichtlich keine Zeit, um diesen Fall sofort zu bearbeiten, zum andern hoffte man, daß meine Mutter sich soweit stabilisiert hätte, um daran teilzunehmen. Doch so weit sollte es nicht kommen, denn die behandelnden Ärzte hielten es für gefährlich, und sie selbst äußerte nicht den Wunsch, bei der Urnenbestattung anwesend zu sein.
    Aber mein Vater kam. Ich schämte mich vor dem Professor, daß die verkommene Gestalt im geliehenen schwarzen Anzug mein Vater war. Er blamierte mich jedoch nicht, weil er überhaupt nicht sprach und nur mit abwesender Miene Hände schüttelte. Onkel Paul und er ignorierten sich, obgleich sie miteinander telefoniert haben mußten. An diesem Abend war ich mit Vater allein in unserer Wohnung, aus der ich inzwischen alle meine Sachen zu Cora gebracht hatte. Nur die seladongrüne Schale durfte nicht im Hause des Sinologen stehen; ich mußte froh sein, daß er bei seinem Besuch mein Zimmer nicht betreten hatte.
    Vater sollte in Carlos Bett schlafen, ich zum letzten Mal in meinem eigenen. Wir saßen bei Rührei und Brot in der Küche, mein Vater hatte für Bier und Schnaps gesorgt. Ich trank Tee. Cora hatte mich nach der Beerdigung verlassen und war tränenüberströmt zu ihren Eltern ins Auto gestiegen. Da ich meine Therapie schon begonnen hatte, wußte ich, daß es einige Punkte zu klären gab, und ich nahm meinen ganzen Mut zusammen.
    »Warum warst du im Gefängnis, und wieso konntest du Carlos Tod voraussehen?«
    Vater holte ein schmutziges Taschentuch heraus, er weinte tatsächlich. Diese Tränen hätte ich meiner versteinerten Mutter gewünscht.
    »Du hast ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren«, begann er wie ein Schmierenkomödiant und war schon wieder still.
    Ich goß ihm Schnaps ein. »Ich höre.«
    Schneuzend setzte er von neuem an: »Deine Mutter hatte zwei Brüder, Paul und Karl. Wahrscheinlich kannst du dich nicht an Karl erinnern.«
    Das Foto! dachte ich. Also hatte Mutter keinen Liebhaber gehabt, es war leider nur ihr Bruder.
    Mein larmoyanter Vater fuhr fort: »Elsbeth liebte Karl mehr als Paul und mehr als mich. Carlo wurde nach ihm benannt, das C und das O konnte ich mit Mühe durchsetzen. Karl und ich haßten uns von Anfang an. Er studierte Chemie und galt in seiner Familie als Aufsteiger. Ich hatte damals ein abgebrochenes Studium hinter mir, arbeitete als Briefträger und malte. Elsbeth glaubte an meine Kunst und machte mir Mut. Karl fand meine Bilder schwach.«
    »Soll der Tote auf dem schwarz-weiß-roten Gemälde gar nicht Carlo sein, sondern Karl?«
    »So ist es. Ich habe Karl im Suff erschlagen und kam ins Gefängnis. Jahre später muß ich dieses Bild gemalt haben.«
    »Warum hast du das getan?«
    »Im Affekt, aus Eifersucht und Wut. Ich habe ihm eine Bierflasche auf den Kopf gehauen, er war sofort tot.«
    »Hatte er dich angegriffen?«
    »Nur verbal, aber das kann schlimm sein. Er wollte, daß ich mich von deiner Mutter scheiden lasse. Sie sei zu schade für einen Versager.«
    Lange rührte ich im Tee, und Vater kratzte mit einer Gabel den Dreck aus seinen Fingernägeln.
    »Deine Mutter konnte mir nie verzeihen.«
    »Mir auch nicht«, sagte ich bitter. Ich sah ihn an und dachte: Mein Vater ist ein Mörder, ich bin eine Mörderin. Ein schöner König, eine feine Prinzessin. Das Opfer ist meine Mutter, denn ihre liebsten Menschen wurden von uns umgebracht. Griechische Tragödien waren Kindermärchen gegen unser Familienstück.
    Als Vater ziemlich betrunken war, gab er zu, daß er seinen Sohn nie geliebt hatte, weil er Mutters Bruder so verteufelt ähnlich sah. Gleichzeitig war er sich aber seiner Ungerechtigkeit bewußt und hatte vielleicht deswegen häufiger an Carlo gedacht als an mich. Er verlangte, daß ich von meinem Bruder erzählen sollte, und ich verlor meine mühsam gewahrte Fassung. Ich weinte, er weinte, und wir konnten uns weder trösten noch in die Arme fallen.
    Nach einem ausgiebigen Rülpser schlief Vater am Küchentisch ein, und ich legte mich in meine Zelle, denn mein Zimmer erschien mir wie

Weitere Kostenlose Bücher