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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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mißbilligend die schöne Hand ihrer Tochter in die Höhe. »Woher stammen die Trauerränder, wenn ihr doch stündlich ins Wasser springt?«
    Auch ich betrachtete verlegen meine Hände. Im Grunde lackierten wir die Zehen, um mit frischem Rosa vom Straßenstaub abzulenken, aber lackierte Fingernägel hielten wir für zu damenhaft. Coras Mutter zeigte uns, wie es die Französinnen machen: French Manicure, natürlich kurze Nägel, oval gefeilt, mit einem Nagelweißstift von unten betont. Während sie einen meiner Fingernägel zu Demonstrationszwecken feilte, sagte sie beiläufig: »Soll ich dir meine Pille leihen? Ich habe zwei Packungen mitgenommen.«
    Ich wurde über und über rot, brachte aber nichts heraus. Cora, einerseits eifersüchtig auf die mütterliche Zuwendung, andererseits in steter Opposition dagegen, zischte ihre Mutter an: »Jonas ist schließlich Mediziner, der kennt sich besser aus als du, nicht wahr, Maja?«
    Ich nickte. Jonas paßte auf, wie er versichert hatte, aber er sprach ungern über Sex, er handelte. Ich hätte sicher die Pille »geliehen«, aber Solidarität mit Cora war vorrangig für mich.
     
    Später habe ich darüber nachgedacht, warum ich mich ausgerechnet in Jonas verliebt hatte. Wahrscheinlich hatte ich keine Wahl, wenn es auch anders aussieht. Damals war ich reif wie Fallobst; ich war meine krankmachende Familie losgeworden, ich fühlte mich wohl in meiner selbstgewählten Ersatzfamilie, ich fand mich schön in guten Kleidern und mit der braunen Haut, und ich war glücklich, zum ersten Mal im Leben einen Italienurlaub zu genießen, der für meine Klassenkameradinnen nichts Besonderes mehr war. Die jungen Männer, die an den ersten Tagen neben uns gesessen hatten, waren auf Cora geflogen. Nun kam endlich einer daher und schaute nur mir in die Augen - wahrscheinlich wäre ich auch in Liebe zergangen, wenn es ein viel untauglicheres Objekt als Jonas gewesen wäre.
    Was wußte ich von ihm? Er sah gut aus, strahlte genau wie ich das Ferienglück junger Menschen aus, er war braungebrannt und ließ sich einen wilden Bart stehen. Ich mochte es, wenn sich unsere warme Haut berührte, auf der man die Sonne förmlich roch. Jonas war ernsthafter und wortkarger als ich, er war ein gläubiger Mensch, und ich hütete mich, ihm von früheren Untaten zu erzählen. Zwar hatte ich angedeutet, daß mein Bruder im vergangenen Jahr durch einen tragischen Unfall gestorben war, aber Jonas nahm mich nur mitfühlend in die Arme und putzte mir mit einem bäuerlich-karierten Taschentuch die Nase, er fragte nicht nach Einzelheiten.
    Er fragte nicht, ich tat es auch nicht. Wir waren so stark mit unserem körperlichen Wohlgefallen beschäftigt, daß wir uns gegenseitig bedenkenlos annahmen, alles Gemeinsame als Wunder bestaunten, alles Trennende interessant und anregend fanden.
    Ich habe Jonas erst viel später kennengelernt.

Safrangelb
     
     
    Neulich rief man von der Agentur an, ob ich mir zutrauen würde, »die große Tour« zu machen, meine Kollegin sei plötzlich erkrankt. Die große Tour dauert doppelt so lang wie meine (nämlich sechs Stunden) und hat Fiesole im Programm, natürlich auch die Uffizien mit ausgiebiger Betrachtung von Botticellis Frühlingsallegorie. Ich merkte mir also, daß diese große Holztafel 1478 gemalt wurde. Links bewacht Merkur, rechts verfolgt Zephyr die Frauen, von oben schießt Amor. Und vor dem Gemälde stand der Auftraggeber Lorenzo Medici und betrachtete die transparent gekleideten Grazien. Cora mag dieses Bild nicht, obwohl sie in manchen Augenblicken der Flora ein wenig ähnlich sieht. Lieblichkeit ist ihr ein Greuel, und sie setzt alles daran, ihre eigene durch Verkleidung zu tarnen.
    Ich habe die große Tour jetzt schon ein paarmal durchgestanden. Meine zwanzigköpfige Herde hat die Sehenswürdigkeiten abgehakt und sich dann dem Shopping hingegeben: handgeschöpftes Papier, Stroh- und Korbwaren, Florentiner Spitze und Goldschmuck mit Koralle und Perlen.
    Mit Wut sah ich, wie eine Siebzehnjährige von ihren Eltern alles bekam, worauf sie mit dem Finger deutete. Die Alten waren so entzückt über den Gnadenerweis ihres lieben Kindes, mit ihnen nach Italien zu reisen, daß sie die sinnlosesten Souvenirs erstanden und zu Gucci und Fendi gelaufen wären, wenn es die Tochter gewünscht hätte.
    Meine erste Reise ins Ausland hatte in Begleitung fremder Eltern stattgefunden. Auch wenn ich Coras Eltern immer wieder loben muß, es waren doch nicht meine eigenen. Vielleicht war das

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