Die Häupter meiner Lieben
ihm auf der Stelle gesagt, daß wir sie keine Minute mit dem Kind allein lassen konnten.
Drei Tage später bekamen wir die Nachricht, daß sie sich mit einem Pflanzenschutzmittel umgebracht hatte.
In den Wochen danach meinte ich zuweilen, selbst verrückt zu werden. Immer wieder litt ich unter depressiven Schüben, Heulkrämpfen, ja einer beginnenden Magersucht. Ich wußte genau, daß sich alles nachteilig auf die Entwicklung des Kindes auswirken konnte, und dieser Gedanke machte es noch schlimmer. Meinen Vater hatte ich seit der Hochzeit nicht mehr gesehen; von Mutters Tod hatte ich ihn benachrichtigt, aber auch geschrieben, daß sie eine Beerdigung ohne seine Anwesenheit wünschte. Ich verzichtete auf mein Erbe: die scheußlichen Möbel meiner Eltern. Einzig Carlos Schreibtisch ließ ich mir schicken. Aber statt des erwarteten aufschlußreichen Inhaltes fand ich im wesentlichen nur Herrenmagazine, eine Sammlung nie abgeschickter Briefe an Cora, einige Skizzen meines Vaters und einen Rosenkranz.
Eines Tages betrachtete ich mich im Spiegel: blaß, dünn, mit schlechter Haut und Ringen unter den Augen. Wie anders hatte ich in der Toskana ausgesehen, als sich Jonas in mich verliebte, wie intensiv war unser Liebesleben gewesen! Auch in diesem Punkt war ich unzufrieden und fragte mich, warum ich eigentlich täglich die Pille nahm. In einem solchen Augenblick klingelte unser neues Telefon. Es war Coras Mutter. Sie machte sich, wohl durch ihre Tochter alarmiert, Sorgen um mich. Neulich hätte ihr Mann Jonas getroffen, im feinen Anzug und ohne den wilden Bart, den er in der Toskana angelegt hatte. »Maja, wenn Jonas in unserer Gegend Arztbesuche macht, dann könnte er dich mitnehmen und bei uns absetzen. Paßt der Kinderwagen ins Auto?«
Von da an verbrachte ich einmal in der Woche einen Tag bei Schwabs. Vormittags wanderte ich mit dem Kinderwagen durch die Stadt und ließ Béla von Passanten und Bekannten bewundern, nachmittags saß ich mit Coras Eltern zusammen, und abends holte mich Jonas ab.
Diese Besuche halfen mir; mehr noch half mir allerdings, daß ich wieder zu stehlen anfing. Es begann damit, daß ich in einem Drogeriemarkt Puder und Babyöl kaufte und dabei die teuren Kosmetika sah, die ich früher benutzt hatte. Meine schlechte Haut war sicher eine Folge davon, daß mir nur billige Seife zur Verfügung stand. Es war nicht schwer, mit dem Kinderwagen auf Diebestour zu gehen. Alles verschwand unter Bélas Decke. In unserem Dorf habe ich nie gestohlen, aber aus der Stadt brachte ich stets einige schöne Andenken mit: Parfüm und Strümpfe, Musikkassetten und Kunstbücher, eine Seidenbluse und einen elektrischen Flaschenwärmer.
Gelegentlich begleitete mich Coras Mutter, dann entfiel das Stehlen. Aber in diesen Fällen kaufte sie mir im allgemeinen ein Kleidungsstück nach Wahl, so daß ich Jonas gegenüber sagen konnte, auch meine anderen Mitbringsel seien Geschenke.
Ich stahl vor allem schöne Sachen für mein Kind. Ich konnte es nicht ertragen, wenn Béla häßlich angezogen war. Zwar hatte ich nichts gegen die selbstgestrickten Jäckchen der Urgroßmutter einzuwenden - sie besaßen den Liebreiz bäuerlicher Tradition -, aber die bonbonfarbene Kaufhausware, die mir Jonas' Schwester vererbte, sortierte ich aus. Ich wollte mein Kind in Samt und Spitzen sehen. Jonas fand das absurd.
»Willst du einen Prinzen aus ihm machen?« fragte er spöttisch. Ja, das wollte ich. Schließlich war Béla der Sohn einer Prinzessin. Ich wollte mich dafür entschädigen, daß ich selbst nicht mehr die Infantin von Spanien war.
Erstaunlicherweise hatte der Professor, den seine eigenen Kinder im Säuglingsalter kaum interessiert hatten, einen Narren an meinem Sohn gefressen. Wenn er Zeit hatte, saß er eine volle Stunde am Teetisch und ließ es sich nicht nehmen, das Kind auf dem Schoß zu halten.
»Béla Barthel ist das reine Glück, nicht wahr. Anfangs hielt ich es für eine Katastrophe, daß du mit achtzehn Jahren ... Aber wenn ich recht bedenke, dann kommt Béla in drei Jahren in den Kindergarten, und du bist immer noch blutjung und kannst studieren. Ich kenne inzwischen viele Frauen, die zuerst das Examen machen und eine Stellung annehmen und die schließlich die Karriere nur ungern unterbrechen, um Kinder zu kriegen. Es paßt nie in ihren Terminplan, so wie bei mir mit den Gallensteinen. Ich soll mich irgendwann operieren lassen, aber es paßt mir nie.«
Coras Mutter fragte mich über ihre Tochter aus, denn sie
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