Die Häupter meiner Lieben
ich müßte auf den Strich gehen, nachdem du mir das Klauen beigebracht hast?«
Ich lachte geschmeichelt. »Hast du seine Brieftasche gestohlen?«
»Ob du es glaubst oder nicht, er hat mich dabei erwischt. Weißt du, in Brasilien muß es Taschendiebe geben, gegen die wir Waisenkinder sind. Wir haben ja im Grunde nie am lebenden Objekt geübt...«
Mir gefiel die Geschichte. Ich fand es romantisch, daß man sich beim Stehlen verliebt. Cora war die alte geblieben. Barfuß und im Nachthemd tanzte sie mit Béla auf dem Arm über den Steinboden und sang >Azzuro<, dann fütterte sie mein Kind mit einem Mokkalöffel.
»Übrigens, bald wird Henning kommen. Wir biegen die Wahrheit ein bißchen hin und sagen, dein Vater hätte dich und das Kind mit dem Messer bedroht. Henning fühlt sich gern als Retter.«
Ich lag in der Sonne und hatte das gute Gefühl, daß die grauen Tage zunächst vorbei waren.
Goldenes Kalb
Bis jetzt hat Merkur, der Gott der Diebe, stets schützend seine Hand über mich gehalten. Vielleicht hat er, wie Götter in diesem Lande zu tun pflegen, die Gestalt von Cesare angenommen. Mein Busfahrer könnte dem Alter nach zwar nicht mein Vater sein, aber er hat durchaus väterliche Züge. Dem Phantom des Traumvaters, das mich in meiner Kindheit begleitete, kommt er vielleicht eher nahe als mein tatsächlicher Erzeuger. Ich habe mich als Kind für schuldig am Verschwinden meines Vaters gehalten. Ich war nicht lieb, nicht schön genug, um einem König zu gefallen. Es tut mir gut, daß Cesare mich hübsch findet, und ich unterlasse gelegentlich eine kleine Lumperei, um ihn nicht zu erzürnen. Cora hat auch Probleme mit ihrem Vater, aber ganz andere. Warum wohl hätte sie sich mit Henning eingelassen, wenn nicht aus einem verkappten Ödipuskomplex heraus. Sie hat es nie zugegeben.
Ich erinnere mich genau, wie ich ihren alten Liebhaber kennenlernte. Falls Henning über meinen Überraschungsbesuch ungehalten war, so zeigte er es nicht. Er gab sich liebenswürdig und jungenhaft, und wir suchten gemeinsam ein Zimmer für mich aus. Die Villa war kein Palast, sondern ein bürgerliches Haus aus dem vorigen Jahrhundert. Seine solide Bausubstanz hatte es dem Fachmann angetan; von Cora bekam er den Tip, daß die alten Besitzer kurz nacheinander gestorben waren. Einer ihrer vielen italienischen Freunde hatte ihr davon erzählt, und so hörte sie von dieser Okkasion, bevor Makler und Grundstückshaie Witterung aufnahmen. Allerdings gehörte Emilia, die Hausangestellte, als lebendes Inventar zur Villa, außerdem hatte man seit dem Krieg nicht mehr renoviert.
Henning, der mich sofort duzte, wies mir und Béla ein großes helles Balkonzimmer zu. Der Stuck bröckelte von der Decke, die Fensterläden faulten, der Terrazzo-Boden hatte Löcher - aber mir gefiel dieses Zimmer mit Lichteinfall von zwei Seiten über die Maßen. Ein Eisenbett, eine Spiegelkommode und ein durchgesessener Lehnstuhl waren das einzige Mobiliar. Emilia brachte mir Kleiderbügel aus Draht und spannte eine Schnur zwischen zwei Eisenhaken.
Abends rief ich Jonas an. Er war mindestens so gesprächig wie damals, als ich ihm meine Schwangerschaft mitgeteilt hatte.
»In Deutschland muß man noch heizen, hier haben wir auf der Terrasse Kaffee getrunken. Béla hat stundenlang draußen geschlafen, es wird ihm guttun...«
Jonas litt. Er fragte nach der Adresse, er wollte am Wochenende kommen und uns abholen. Coras Eltern wußten nicht, daß sie aus ihrem Zimmer ausgezogen war, er hatte bereits dort angerufen.
Ich rückte nicht mit der Anschrift heraus und versicherte, ich werde in ein paar Tagen sowieso zurückkommen.
»Willst du nicht hören, was dein Vater macht?«
»Doch.«
»Er behauptet, krank zu sein, will aber nicht zum Arzt.«
Erpressung, dachte ich. »Schmeiß Vater raus!«
»Wie stellst du dir das vor? Er liegt mit einer Wärmflasche auf dem Sofa und stöhnt.«
Ich versprach, bald wieder anzurufen, hatte es aber nicht vor. Offensichtlich wollte mir Jonas ein schlechtes Gewissen einreden.
Cora hatte sich schick gemacht. Sie wollte zu einer Ausstellungseröffnung; sie kannte den Künstler persönlich. »Gibst du mir das Auto?« fragte sie. Henning zog die Schlüssel aus der Tasche. Wie ich erfuhr, machte er sich nichts aus solchen Veranstaltungen. »Kommst du wenigstens mit, Maja?«
»Leider nein, Béla...«
»Aber er schläft fest, bis zur nächsten Mahlzeit bist du wieder zurück.«
Henning ermutigte mich, Béla in seiner Obhut zu
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