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Die Häupter meiner Lieben

Die Häupter meiner Lieben

Titel: Die Häupter meiner Lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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lassen, auch Emilia würde hören, wenn er schrie. Ich lieh mir einen Fetzen von Cora, und wir stiegen in einen riesigen amerikanischen Kreuzer. »Eigentlich ist es der chromgrüne Cadillac, der mir an Henning gefällt«, sagte Cora schamlos.
    »Bist du gar nicht verliebt?«
    »Ach Gott, schon. Aber er hat Fehler, wobei ich nicht einmal sein Alter meine. Wenn ich nicht gewesen wäre, hätte er sich eine Komfort-Neubauwohnung gekauft. An unserer Villa gefällt ihm ausgerechnet die solide Bauweise, für Charme und Schönheit alter Häuser hat er keine Antenne. Er liebt Golf und Pferderennen.«
    »Und du?«
    »Ich bin doch nicht die Queen, Pferde bringen mich zum Gähnen. Aber das Publikum ist lustig, das wird dir Spaß machen.« Cora chauffierte mit Hingabe und wies unterwegs auf ihre Lieblingskirche Santa Maria Novella. »Hier wird das Auge geschult«, sagte sie, »ich zeige dir demnächst die Fresken von Ghirlandaio.«
    Die Ausstellung ihres amerikanischen Freundes war zwar keine Schulung fürs Künstlerauge, aber es machte Freude, Leute zu treffen. Als Bélas Fütterungstermin heranrückte, wurde ich etwas ungeduldig und mahnte zum Aufbruch.
    »Ich möchte noch bleiben«, sagte Cora, »Sandra kann dich heimfahren.«
     
    Als ich, leicht verspätet, die rosa Villa betrat, bot sich mir ein familiäres Bild: Henning hielt das Kind auf dem Schoß, Emilia hatte Brei gekocht. Die Fütterung war in vollem Gange. Ich wollte Henning entlasten, aber er war mit Feuereifer bei der Sache. Anscheinend hatte Béla seinen Großvaterinstinkt wachgeschrien.
    »Was man im Leben so alles verpaßt hat«, sagte Henning zu Emilia. Er sprach spanisch mit ihr, das er von seinem brasilianischen Portugiesisch ableitete. Sie verstand ihn meistens. Auch ich konnte, dank Herrn Beckers Spanischunterricht, die wichtigsten Gesprächspunkte verfolgen.
    Man konnte sich keinen größeren Gegensatz als diese beiden verhinderten Großeltern vorstellen. Emilia war jünger als Henning, war nie verheiratet gewesen und gab sich als Matrone. Schürze, Haare und selbst die Turnschuhe waren schwarz. Der blonde Henning trug dagegen weiße oder zumindest helle Sachen, goldene Kettchen, geflochtene Schuhe und sah viel jünger aus als Emilia. Man hätte die beiden im Lexikon als Prototypen für Nord und Süd abbilden können. Emilias rundes Gesicht hatte einen stolzen Ausdruck; sie fühlte sich nicht unbedingt als Magd, obgleich sie fleißig Wasser über die steinernen Böden goß. Sie wohnte hier, seit sie ein junges Mädchen war, und besaß lebenslängliches Wohnrecht (im Gegensatz zu Cora oder gar mir). Hennings aggressives Gesicht gefiel mir weniger, ein bißchen erinnerte es mich an Klaus Kinsky, aber Cora konnte diesen Vergleich nicht nachvollziehen. In simplen Abenteuerfilmen sind die Bösen in schwarzer, die Guten in weißer Kleidung; im Fall Emilia und Henning schienen mir die Rollen vertauscht zu sein.
     
    Für mich begann eine angenehme Zeit. Wenn Béla frühmorgens Hunger hatte, konnte ich sicher sein, daß Emilia in mein Zimmer schlich und ihn aus dem Kinderwagen nahm. In ihrer großen Küche wurde er gebadet, gefüttert und so lange gehätschelt, bis er erneut einschlief. Ich konnte also spät aufstehen und mit Cora frühstücken. Henning war im allgemeinen schon in aller Frühe auf dem Golfplatz und pflegte im Klub seinen Kaffee zu trinken. Im Laufe des Tages wurde mir mein Sohn abwechselnd von Henning, Emilia und Cora vom Arm gerissen.
    Cora und ich fuhren täglich in Hennings Auto einkaufen. Den Wagen voller Pampers, Babygläschen, Weintrauben, Schinken und Käse, Schokolade und Blumensträußen kehrten wir zurück. Emilia kochte immer Minestrone, die auf dem Herd für jedermann zugänglich stand, aber meistens gingen wir abends essen, und Emilia blieb mit Béla und Minestrone alleine. In einer Woche war ich von der Frühlingssonne braun geworden und verwandelte mich von der überforderten nervösen Mutter in eine fröhliche junge Frau. Meine Lieben daheim hatte ich fast vergessen.
    »Würdest du Henning als Playboy bezeichnen?« fragte mich Cora. Ich überlegte nicht lange. »Unbedingt«, war meine Antwort. Sie freute sich und sah aus wie ein Teufelchen.
    Ich hatte Jonas kein zweites Mal angerufen und verdrängte mein schlechtes Gewissen.
    Eines Morgens meinte sogar Cora: »Du mußt dich wieder melden, sonst läßt Jonas dich am Ende polizeilich suchen, oder er macht meine Eltern hellhörig...«
    »Ja, heute abend, jetzt ist er sowieso

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