Die Haie vom Lotus-Garten
Zauberei. Denn Michi erinnerte sich dann. Die
Situation hatte harmlos auf sie gewirkt. Erst im Nachhinein erhielt dieser
Vorgang die wahre Bedeutung. Es war nämlich kurz hinter der deutschen Grenze
gewesen in dem kleinen Ort Zwicknaht-Borderhausen. Wir haben eine... äh...
Pieselpause gemacht, und der Wagen war für eine Minute unbeaufsichtigt. Michi,
die als erste hinter den Büschen hervorkam, hatte einen Typ gesehen. Einen
Mischling — halb Chinese, halb Deutscher, vielleicht auch umgekehrt. Jedenfalls
schlich der eilig von dannen und trug was unterm Arm, eingetütet in eine
Spar-schneller-und-sofort-Einkaufstüte. Unser Päckchen könnte drin gewesen
sein.“
„War den euer Wagen nicht
abgeschlossen?“
„Die Hecktür war damals schon
defekt. Da genügte ein Ruck, und das Schloß benahm sich wie eine Einladung zum
Nähertreten. Aber unser Zeug war ja nichts wert. Wer stiehlt denn solchen
Ramsch — haben wir uns gedacht. Keine Sau. Selbst ein Penner hätte Riechkolben
rümpfend sein Interesse verweigert.“
„Entsetzlich!“
„Du sagst es“, nickte Michi,
die sich nun auch wieder einmischte.
„Dieser Diebstahl bedeutet
doch: Der wegschleichende Halbchinese muß gewußt haben, was er stehlen will. Er
muß gezielt nach dem Päckchen gesucht haben.“
Michi nickte abermals. „Das
haben wir uns auch gesagt. Hinterher. Vermutlich war es ein krimineller
Konkurrent. Einer von einer anderen Drogenschmuggler-Bande. Er hat uns
beobachtet in der Türkei und die ganze Zeit später und hat zugegriffen, als wir
die Dreckarbeit erledigt hatten und ihm nichts mehr passieren konnte. Tja, wie
auch immer. Wir steckten bis zum Hals im Morast.“
„Zum Lotus-Garten“, nahm Gotti
den Faden auf, „haben wir uns gar nicht mehr hingetraut. Aber die Haie dort,
diese multi-landsmännisch gemixte Gruppierung aus deutsch-jugoslawisch-chinesischen
Übeltypen, waren bestens informiert über uns und unsere Ankunft. Natürlich von
diesem Arnold — oder wie der Hundskrüppel heißt. Jedenfalls rückten uns die
Haie auf die Fischhaut, die Pelle — meine ich. Und für uns begann der nackte Horror.“
„Was hat man mit euch gemacht?“
fragte Beate.
„Erst wurden wir verdächtigt,
wir hätten den Superdrogenstoff für uns verbraucht. Aber das haben sie dann
fallenlassen, denn unsere Bodies und Köpfe sind drogenfreie Zone. Dann
vermuteten die Ganoven, wir hätten den Stoff verscherbelt und uns mit einem
Berg Kohle den Bauch vergoldet. War natürlich nicht. Schließlich glaubten sie
uns. Akzeptierten, daß wir Opfer sind. Opfer eines Diebes. Das half wenigstens
etwas. Denn uns blieb Mißhandlung erspart. Aber wir wurden haftbar gemacht für
den Schaden. Und wir können noch froh sein, daß wir nur den Einkaufspreis
erstatten sollen, nämlich 220 000 DM und nicht den Verkaufspreis, was das
sechsfache ausgemacht hätte — mindestens. Also schlappe 1,2 Millionen. Für uns
ist es allerdings kein so großer Unterschied. Denn auch aus den kleineren
Schulden kommen wir nie raus.“
„Entsetzlich!“ Beate stieß
Michi an. „Hör endlich auf, hier im Kreis zu fahren. Wir werden noch
auffallen.“
Michi nickte und hielt unter
einem Halteverbots-Schild. Der Zündschlüssel knackte, als werde er abgebrochen,
und der Motor verstummte.
„Michi hat ihren Schmuck
verkauft“, sagte Gotti. „Den von der Konfirmation und den von ihrer Tante, die
voriges Jahr starb. Das brachte 3000 Mark. Ich habe mein Sparbuch aufgelöst und
mich von meinem Feuerstuhl getrennt. Es war eine alte Yakamabitschi. Das
Hinterrad eierte etwas. Aber bei genau 47 Sachen war Geradeaus-Fahrt
problemlos. Zwo-zwo habe ich dafür gekriegt. Und noch so ein paar Sachen wurden
verhökert. Jedenfalls hatten wir 7300 zusammen — als erste Schuldentilgung. Die
Haie haben sich totgelacht — und uns dann dazu verdonnert, Kreditkarteninhaber
in Tiefschlaf zu legen zwecks Plastik-Daten-Erfassung aus ihren Brieftaschen.
Das ist nun unsere Freizeitbeschäftigung. Zur Polizei können wir nicht gehen.
Vielleicht kämen wir bei einer Drogenschmuggel-Selbstanzeige noch einigermaßen
glimpflich davon. Aber dann würden uns die Haie ihre Schläger auf den Hals
schicken — Knochenbrecher, Menschenquäler, Sadisten. Mir bedeutet meine
Gesundheit nicht viel. Aber wenn Michi was angetan wird, sterbe ich vor Gram.“
Für einen Moment herrschte
Stille. Es wurde jetzt sehr kalt im Wagen. Selbst Küßchen schien zu frieren.
Denn er wühlte sich in Beates Mantel wie in einen wärmenden
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