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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Die Kette blieb, selbst nachdem Lilli ihr Lachen beendet hatte. Ivo meinte: »Also gut, zeig mir, worum es geht, und ich werd dann schauen, wie ich das mit dem Schweigen hinbekomm.«
    Ein richtiges Versprechen war das zwar nicht, aber Lilli vertraute Ivo. Sie sagte, sie müsse nur rasch hinauf in ihr Zimmer, um sich umzuziehen.
    Â 
    Als sie wieder nach unten kam, trug sie ein enges, aber elastisches, vielleicht schwarzes, vielleicht dunkelblaues Kleid, ein gleichzeitig elegantes wie sportliches Ding mit halblangen Ärmeln und kurzem Rock, dazu halbhohe Schuhe mit nicht ganz so dünnen Absätzen wie üblich. Sie konnte nicht sicher sein, ob der heftige Regen nicht auch über dem Lärchenwald niedergegangen war und eine gewisse Weichheit und Schlammigkeit des Bodens verursacht hatte. Einen Schirm hatte sie in ihre Tasche gepackt, dorthin, wo auch zwei Puppen lagerten.
    Ivo redete gerade mit Galina und Spirou. Und als er nun wieder zu Lilli hinübertrat, da war der Junge an seiner Seite.
    Â»Das ist Spirou.«
    Der Junge reichte Lilli die Hand und erklärte, er sei zu Diensten.
    Lilli hätte jetzt sagen können – so wie einst Ivo –, daß ein Kind in diesem Alter eigentlich in die Schule gehöre. Oder auf den Sportplatz. Doch sie ersparte sich die Phrase, meinte dafür, es sei besser, Spirou bleibe im Hotel.
    Â»Aber ich bin doch Ivos Führer.«
    Â»Ja, das ist er«, bekannte Ivo. »Und er ist ein guter Führer.«
    Â»Na«, meinte Lilli, »und wohin, mein lieber Spirou, führst du uns diesmal?«
    Spirou antwortete: »Habe ich denn nicht soeben Sie und Ihren Freund zusammengeführt? Ivo wäre nicht hier, wäre ich nicht gewesen. Andere Führer hätten ihn an andere Orte gebracht.«
    Nun, auf eine gewisse Weise stimmte das auch. Obgleich Spirou nicht sämtliche Entscheidungen getroffen hatte, die den Weg nach Toad’s Bread geebnet hatten, so waren die Impulse für diese Reise von ihm ausgegangen. Die eingehenden Vorbereitungen, nachdem Ivo Berg in Ochotsk angekommen war und einen ganzen langen Winter hatte durchhalten müssen. Zudem der Besuch bei Lopuchin, als das erste Mal der Name »Toad’s Bread« gefallen war. Und natürlich die Entscheidung, zu jener Anglerhütte zu marschieren, bei der es sich scheinbar um die Romanows gehandelt hatte, als dieser noch gar nicht tot gewesen war.
    Lilli folgerte: »Du bist also der gute Geist in dieser Geschichte.«
    Â»Der bin ich«, antwortete Spirou, und selten hatte ein Kind überzeugender geklungen.
    Â»Na gut, dann komm halt mit«, entschied Lilli, drehte sich in Richtung der Sitzecke und rief zu dem Großen Griechen hinüber, »Sie auch, Kallimachos, begleiten Sie uns.«
    Â»Ja wohin denn?«
    Â»Sie werden sehen.«
    Kallimachos seufzte. Er hatte eine wunderbare Sitzposition eingenommen. Auf dieser breiten Lederbank würde er spielend tausend Jahre zubringen können. Aber … nun, er wußte ja, daß er an diesen Ort gereist war, um Lilli in irgendeiner Form beizustehen. Also nahm er seinen Stock, ließ sich von Galina aufhelfen und bewegte sich an ihrer Seite hinüber zu Lilli, Ivo und Spirou. Er bestand darauf, von der jungen Frau begleitet zu werden. Ohnehin würde sie nie wieder von seiner Seite weichen. Nicht etwa, weil sie auf fette, alte Männer stand. Nicht, weil sie unter einem Vaterkomplex litt. Vielmehr war sie in den nikotinhaltigen »Dunstkreis« dieses Mannes geraten um zu erkennen, wie richtig der Platz für sie war. Sie spürte, in Verbindung mit diesem magischen Fleischberg ihre Stimme wiederfinden zu können, nicht nur in Momenten, da irgendeine Panik ihr die Wörter aus dem Mund schleuderte, aufbrausende Wörter, nein, Kallimachos würde mittels seiner puren Präsenz den Knoten lösen, der Galinas Sprachzentrum dominierte. Es würde freilich seine Zeit brauchen. Aber in der Nähe dieses Mannes spielte Zeit sowieso keine Rolle. In der Nähe dieses Mannes war Zeit eine dumme kleine Angeberin. Und wenn einmal gesagt worden war: »Wer, bitteschön, wenn nicht die Zeit, würde über Zeit verfügen?«, so brauchte es dennoch Leute wie den ungemein gravitätischen Kallimachos, welche die Zeit zwangen, ihre viele verfügbare Zeit auch bereitzustellen, ohne viel Theater zu machen.
    Â»So«, sagte Kallimachos, »jetzt sind wir eine kleine Familie. Genau die richtige

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