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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Größe.«
    Die Familie machte sich auf den Weg.

21
    Es war ein Museum, in das Lilli die Gruppe führte. Ein Museum ohne Wächter, ohne Alarmanlagen, ohne Direktion, sogar ohne Cafeteria – den wohl wichtigsten Ort heutiger Museen –, aber nicht ohne Kunst. Selbige hing hier und stand hier. Und war auch nicht verstaubt, da es einige Frauen übernommen hatten, die Räume und Objekte zu reinigen. Obgleich es keine Besucher gab, nicht einmal Leute, die zum Beten oder Meditieren an diesen Ort kamen. Nein, die Kunst blieb ganz für sich, zum Teil überaus wertvolle Gemälde von Matisse und Picasso, von Rubens und Pollock, die zauberischen Blumen von Huysum und Handler, ein kleiner Klee und ein großer Polke, eine Porträtserie von Warhol und vieles andere, was aus den Museen und Galerien und den Privatsammlungen der oberen Welt verschwunden war, um an dieser Stelle eine Zuflucht zu finden. Es hatte etwas für sich, daß es auch Kunst gab, welche sich nicht anglotzen zu lassen brauchte. Eigentlicher Hintergrund dieser ungeschauten Sammlung war freilich ein umfassender Versicherungsbetrug.
    Hinter zwei fragilen Bronzetänzerinnen von Degas und einer schlanken Sandsteinmadonna ragte ein mittelalterliches Altarbild auf, in dessen Schatten sich kaum sichtbar ein Aufzug befand.
    Â»Hier sind wir richtig«, behauptete Lilli.
    Â»Wo sind wir richtig?« fragte Ivo. »Im Reich gestohlener Kunst?«
    Â»Kunst ist immer gestohlen«, stellte Lilli fest und drückte einen Knopf. Die Tür glitt zur Seite, und die ganze Familie stieg in den verspiegelten Kasten. Knöpfe gab es keine, nur eine Gegensprechanlage, die Lilli nun betätigte. »Madame Fontenelle! Ich bin es, Lilli Steinbeck.«
    Â»Und?«
    Â»Der Mörder ist tot, ein Mann namens Romanow.«
    Â»Dann ist es ja gut. Sie haben getan, worum ich Sie gebeten habe, jetzt werde ich tun, worum Sie mich gebeten haben. Ich rede mit den Ewenken.«
    Â»Ich würde trotzdem gerne nach unten kommen.«
    Â»Sind Sie allein?«
    Lilli griff Kallimachos’ Interpretation auf und sagte: »Nein, ich habe meine Familie dabei.«
    Â»Was für eine Familie?«
    Â»Eine kleine.«
    Â»Was soll das?« Fontenelles Stimme war eine knallende Tür.
    Â»Hören Sie, Madame, das muß jetzt sein. Wir müssen die Sache zu einem Ende führen. Einem, das auch wirklich funktioniert.«
    Aber Fontenelle meinte, ein toter Mörder wäre ein gutes, ein ausgezeichnetes Ende.
    Â»Nun, so einfach ist es nicht. Ich habe hier nämlich einen Mann namens Ivo Berg, dessen Auftrag darin besteht, einen Ihrer Bäume nach Deutschland zu entführen. Lassen Sie uns doch gemeinsam versuchen, ihn davon zu überzeugen, daß das eine schlechte Idee ist.«
    Â»Sie riskieren gerade, Frau Steinbeck, daß ich mir überlege, mich bei den Ewenken für Sie stark zu machen.«
    Doch Lilli versicherte: »Glauben Sie mir, es ist besser so, wenn Sie uns hinunterlassen. Wir kommen den offiziellen Weg, anstatt uns über irgendwelche versteckten Pfade einzuschleichen. Das sollte Sie eigentlich beeindrucken.«
    Schweigen. Man könnte sagen: Schweigen im Wald, wenn man um die Lärchen wußte.
    Dann ein Ton, ein kurzes Pfeifen, und der Lift setzte sich nach unten in Bewegung.
    Â 
    Was für Toad’s Bread galt, galt nicht für den Lärchenwald. Keine Finsternis, kein Schwarzweiß, kein vom Regen aufgeweichter Boden, sondern ein strahlend schöner, warmer und trockener Nachmittag. Ein purpurnes Leuchten. Selbst in den Schatten eine Palette von Blautönen.
    Â»Unglaublich!« entfuhr es Ivo beim Anblick der Bäume, die hinter einem kurzen Wiesenstück eine erste Reihe bildeten.
    Die ganze Familie samt Madame Fontenelle stand auf der Terrasse.
    Â»Dr. Ritter wird sich freuen«, meinte die Französin.
    Â»Worüber?« fragte Lilli.
    Â»Einen Verwandten zu treffen«, erklärte Fontenelle und zeigte mit einem ihrer rotlackierten Fingernägel in Richtung von Ivos Wange, dorthin, wo eine Anordnung aus vernarbten Löchern einen gedachten Fünfstern bildete und damit jenes Zeichen, welches der Zar von Ochotsk, Lopuchin, seinen liebsten Feinden angedeihen ließ.
    Â»Stimmt.« Lilli wunderte sich, diese Parallele nicht wahrgenommen zu haben, wobei allerdings gesagt werden muß, daß unter den schwarzweißen Verhältnissen, die oben in

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