Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
als ersten Kallimachos. Der Grieche saß so zentral wie mächtig auf einer ledernen Bank, umgeben von einigen der Ewenken, die ihn gleichzeitig gefangenhielten und auf die freundlichste Weise umhegten. Wie ja auch sie selbst, Lilli, sich in der Obhut dieser Leute befand. Wenigstens so lange, bis Madame Fontenelle eine Freilassung erwirken würde.
    Da waren allerdings weitere Personen, die Lilli noch nie gesehen hatte: eine junge kräftige Frau mit Kopftuch und dicken Strümpfen, ein kleiner Junge mit einer Haube auf dem Kopf, wie Pagen sie trugen, sowie ein Mann …
    Wie lange dauert es, bis man ein Gesicht vergessen hat? Und: Wie sehr muß sich ein Gesicht verändern, daß man es nicht wiedererkennt?
    Â»Ivo?!« rief Lilli aus.
    Das Fragezeichen hätte sie sich sparen können. Natürlich war es Ivo, welcher freilich seinerseits ein ebensolches Fragezeichen anschloß: »Lilli?!«
    Sie trat nahe an ihn heran, betrachtete ihn eher wie einen Sohn, der groß geworden war, als wie einen Liebhaber, der alt geworden war. Wenigstens älter. Sie sagte: »Du, die Jahre haben dir gutgetan.«
    Â»Und du bist schön wie immer«, gab er zurück.
    Â»Das kommt vom Schwarzweiß.«
    Â»Verrückt, gell!«
    Â»Nicht so verrückt«, meinte Lilli, »wie der Umstand, uns hier über den Weg zu laufen. Andererseits: Wenn man Verrücktheit ansieht als eine lockere Schraube in einem uhrwerkartigen Gehirn, fragt sich, wer hier eigentlich verrückt ist. Der, der uns denkt?«
    Â»Nicht nur noch immer schön«, stellte Ivo fest, »sondern auch noch immer philosophisch.«
    Er berührte ihre Schulter. Mein Gott, wie oft hatte er sich gefragt, wie sie wohl nach all diesen Jahren aussehen würde? Kaum vorstellbar, ihre Schönheit hätte gelitten, Nase hin oder her. Soviel Theater um Nasen gemacht wird, beweisen ja gerade die Nasenoperationen, wie wenig ein Gesicht sich dadurch verändern oder gar verbessern läßt. Topographisch gesehen ist die Nase die Spitze des Gesichts. Aber vom Gipfel hängt die Schönheit des Berges nun mal nicht ab, nicht der Reiz des Tals, des Flußlaufes und schon gar nicht die Pracht des Sees, in dem sich der Gipfel spiegeln mag oder auch nicht.
    Klar, die Jahre hatten ihre Zeichen gesetzt, wie bei Akupunkturnadeln, die nach und nach in die Haut gestochen werden, jedes Jahr eine. Aber die Nadeln störten nicht, ergaben sogar ein anziehendes Muster. Ein Muster und in diesem Muster einen abwesenden Ausdruck, wie bei den Leuten, die leicht schielen und jemanden ansehen, der neben uns steht, nein, der auf unserer Schulter sitzt. Aber dieser Blick war nicht neu, hatte schon damals existiert, als Lilli sich von Ivo getrennt hatte.
    Ivo Berg war hingerissen. Sollte er noch kurz zuvor gewisse Gefühle für Galina gehegt haben, die dort hinten saß, gleich neben Kallimachos, dann waren die verschwunden. Er brauchte keine Sekunde, um sich vollkommen in seine alte Liebe einzufügen. Das mag nun übertrieben klingen, aber wie so oft spiegelte der Klang der Übertreibung die wirklichen Verhältnisse, auch wenn die Übertreibungsgegner das nicht glauben mögen.
    Â»Und was genau tust du hier?« fragte Lilli. »Noch dazu zusammen mit Kallimachos. Der gehört eigentlich zu mir.« Und lauter, hinüber zum Griechen rufend: »Nicht wahr, Sie gehören zu mir?«
    Kallimachos schloß bejahend seine Lider und tat einen tiefen Zug. Seine Hand freilich lag auf jener Galinas, die sich das gefallen ließ. (So mächtig seine Pranke war, wog sie auf Galinas Handrücken nicht schwerer als eine Briefmarke auf einem Kuvert.)
    Â»Dein Kollege«, berichtete Ivo, »war so freundlich, uns mitzunehmen. Wir sind ihm zufällig begegnet. Wie das so geschieht mitten in der Einöde. – Ich bin … nun, es gibt da einen bestimmten Baum, den ich finden soll.«
    Â»Einen Baum?« Lilli erschrak wie unter dem Eindruck eines von allein sich öffnenden Schranks. Hielt sich aber unter Kontrolle. Sie fragte: »Wie das denn?«
    Â»Bäume sind mein Beruf geworden. Ich bin Baumpfleger. Seit vielen Jahren. Glaub mir, ich bin wirklich gut darin. – Eine Firma aus Bremen hat mich beauftragt, eine bestimmte Varietät der Dahurischen Lärche zu lokalisieren.«
    Â»Willst du sie pflegen, die Lärche?«
    Â»Um ehrlich zu sein, ich soll ein Exemplar nach Deutschland verfrachten. Man

Weitere Kostenlose Bücher