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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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wahr?« sagte ein Mann, der an Lillis und Ivos Tisch getreten war. Er trug einen dunklen Anzug und hatte Hemdkragen und Krawatte leicht gelockert. Sein Hals war ein schmaler Streifen, auf dem ein Kopf aufsaß, wie gepflügt, wie von irgendwoher ausgerissen. Ein gestohlener Kopf.
    Ivo dachte: »Der ist wahrscheinlich der Oberbauer von dem Kaff.«
    Aber wie ein Bauer sah er nicht aus, eher erinnerte er an Michael Douglas als Börsenspekulant Gordon Gekko in Wall Street: smart, hinterlistig, krawattenspangig, glatt, zynisch, die Einstellung vortragend, daß Leute, die zu Mittag essen würden, Waschlappen seien. Ja, dieser Mann war eindeutig ein Verächter des Mittagessens, erst recht des Mittagessens um zwölf Uhr. Er wäre sicher lieber drüben in Stuttgart gesessen, als hier den Provinzkaiser geben zu müssen, noch dazu im Bewußtsein, dabei nicht annähernd die Macht zu besitzen, die eine kostümtragende Hin-und-wieder-Hebamme mit jener Leichtigkeit erobert hatte, wie es nur bei Dingen gelingt, um die man nicht zu kämpfen braucht.
    Der Typ von der Gekkosorte präsentierte sich als einer der Stadträte von Giesentweis und fragte, ob er Lilli und Ivo zu einem Glas Wein einladen dürfe. Er freue sich über ihr Kommen und ihren möglichen Zuzug.
    Wie er das sagte, »ich freue mich«, das hörte sich nicht nur einfach verlogen an. Viel schlimmer noch. Als könne er mit seiner Stimme Materie schrumpfen. Und in der Tat wäre die Welt fast doppelt so groß, würden nicht überall Leute vom Format dieses Stadtrats die Materie minimieren. Das allgemeine Ressentiment gegen Politiker ist das Ressentiment gegen die weltweite Verschrumpfung.
    Der Giesentweiser Minimierer richtete sich an Ivo und fragte mit einem Hornissenlächeln: »Und Sie wollen sich also ebenfalls in unserer schönen Stadt niederlassen, Herr Berg?«
    Â»Es wird mir nichts anderes übrigbleiben«, zeigte Ivo wenig Bedürfnis, sich zu verstellen.
    Â»Sie verzeihen schon«, sagte der Stadtrat, der den Namen Scheller trug, »daß ich etwas neugierig bin. Aber es interessiert mich natürlich, wenn wir Leute in unsere Gemeinschaft aufnehmen, in welchen Sparten sie tätig sind.«
    Lilli betrachtete Scheller von der Seite, wie um sein Gesicht in einem geistigen Scherenschnitt festzuhalten. Dann fragte sie, ob man denn unbedingt einen Beruf ausüben müsse, um in Giesentweis leben zu dürfen.
    Â»Keineswegs. Wenn Sie mögen, können Sie ganz einfach unsere schöne Umgebung genießen, keine Frage. Wir haben hier viele Senioren, die ganzjährig …«
    Â»So lange wollen wir gar nicht bleiben«, versicherte Ivo.
    Â»Das kann man nie wissen, oder?« meinte die grinsende Gekkohornisse. »Ich bin auch nicht wirklich von hier. Manchmal bleibt man wo hängen und stellt dann fest, wie gut sich alles gefügt hat. Wie gern man da hängt. – Ich hörte, Frau Steinbeck, Sie hätten etwas mit Kriminalistik zu tun. Sie sind ja noch sehr jung, wenn ich das sagen darf.«
    Lilli überhörte die Bemerkung ihr Alter betreffend und wollte wissen: »Können Sie denn Kriminalistinnen brauchen?«
    Scheller lachte in der dröhnenden Weise freier Übertreibung. Dann schüttelte er belustigt den Kopf und meinte, das Verbrechen führe sich an diesem Ort recht undramatisch auf. Sicher gebe es die üblichen Nachbarsstreitigkeiten und Ruhestörungen, und leider ändere auch das Eingebettetsein in wunderschönste Landschaft nichts daran, daß die Drogendelikte zunehmen, aber insgesamt sei das Leben in dieser Gegend ein friedliches zu nennen. Er sagte: »Verbrechen gibt es überall, natürlich. Aber wenn bei uns eines geschieht, steckt nicht viel dahinter. Nichts, was unseren Polizeiposten ins Chaos stürzen würde.«
    Â»Das freut mich zu hören«, meinte Lilli. »Denn ich bin nicht hergekommen, um Kriminalfälle zu lösen.«
    Â»Sondern?«
    Ja, genau das wollten alle in Giesentweis wissen. Was Lilli eigentlich vorhatte. Inwiefern sie plante, in die Fußstapfen ihrer Groß- und Erbtante zu treten, und wieso sie nicht einfach, wie man das von einer städtischen Frau ihres Alters hätte erwarten dürfen, Haus und Grundstück verkaufte, um sich in irgendeiner Metropole ein Loft anzuschaffen.
    Lilli hätte jetzt die Wahrheit sagen können, nämlich so banaler- wie grandioserweise

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