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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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schwanger zu sein und es für richtig zu halten, ihr Kind in den ersten Jahren seines Lebens nahe der Natur und damit auch nahe der Naturgeister aufwachsen zu lassen. Denn Lilli glaubte ja nicht nur an Gott, sondern ebenso an die den Elementen verbundenen Geistwesen und daß selbige es, bei aller Scheue, mit den kleinen und kleinsten Menschen gut meinten. Wenigstens in dieser frühen Lebensphase wollte Lilli ihr Kind verbunden mit jenen feinstofflichen Erscheinungen wissen. Das, was »gute Luft« genannt wird, ist ja nichts anderes als eine geistvolle Sphäre.
    Freilich konnte sie das so nicht sagen. Zudem sah sie keinen Grund, über ihre kommende Mutterschaft Auskunft zu geben. Die Leute würden es noch früh genug kapieren. Darum also ließ sie Schellers Nachhaken unbeantwortet und erkundigte sich ihrerseits, inwieweit es ihm, seines Zeichens immerhin Stadtrat, möglich wäre, den Weg zum Kucharschen Haus vom Schnee befreien zu lassen.
    Scheller gab sich erstaunt und bedauernd. Offensichtlich seien die Räumkräfte angesichts der Schneemassen überfordert. Er werde aber veranlassen, daß man sich baldmöglichst darum kümmere. »Ich möchte ja nicht«, sagte er, »daß Sie glauben, das sei Absicht gewesen.« Dann wandte er sich wieder zu Ivo hin und erinnerte, immer noch nicht zu wissen, ob Ivo Student sei, denn über eine Uni würde man vor Ort leider Gottes nicht verfügen.
    Â»Ich arbeite in der Reisebranche«, äußerte Ivo. Und das stimmte ja.
    Jetzt hätte sich Scheller natürlich erkundigen müssen … Aber er war es wohl müde, weiter in Lilli und Ivo zu dringen und Details ans Tageslicht zu zerren. Ohnehin ging es nicht um die Details, sondern ums Ganze. Er hatte den beiden auf eine so freundliche wie direkte Weise das Gefühl vermitteln wollen, wie wenig sie in Giesentweis willkommen waren. Er sah nun auf die Uhr, sprach von einem späten Termin, erhob sich und gab jedem zum Abschied die Hand. Er drückte sie so, als zerknülle er einen hinfälligen Vertrag.
    Als er gegangen war, sagte Ivo: »Das ist genau die ländliche Kretinvariante, wie du sie hier überall antreffen wirst.«
    Â»Mein Gott, was stellst du dir vor? Wir sind fremd, aber keine Touristen. Das wird ein bißchen dauern, bis uns alle liebhaben.«
    Â»Willst du denn von unserem verehrten Herrn Scheller liebgehabt werden?«
    Â»Der Mann ist unsicher«, rechtfertigte Lilli, »so unsicher wie der Notar. Sie alle wissen nicht, was wir vorhaben.«
    Â»Na, um ehrlich zu sein«, meinte Ivo, »ich weiß auch nicht, was wir vorhaben.«
    Â»Richtig. Auch du bist unsicher. Obwohl du weißt, daß wir an diesen Ort gekommen sind, um ein Kind in die Welt zu setzen.«
    Â»Stimmt«, sagte Ivo, als sei es ihm gerade wieder eingefallen.

3
    Gegen elf, als Lilli bereits seit zwei Stunden schlief – sie pflegte nie später als neun, halb zehn ins Bett zu gehen, die alte Regel befolgend, nach welcher der gute Schlaf jener vor Mitternacht sei –, begab sich Ivo nochmals nach unten in den Gastraum. Eine Unruhe war in ihm, die er meinte mit einem Bier besänftigen zu können. An der Theke standen mehrere Gäste, andere bevölkerten den Stammtisch. Junge Männer, auch Frauen, modern gekleidet. In den Gesichtern spiegelte sich das Dumpfe genauso wider wie eine zeitgenössische Weichheit der Züge. Kaum einer, der aussah, als sei sein Antlitz vom hiesigen Holzbildhauer geschnitzt worden. Das war ja schon bei Stadtrat Scheller aufgefallen, wie wenig das Bäurische, das Ländliche, die Landluft zur Wirkung kamen, wie sehr die Menschen vom Fernsehen verwandelt schienen, durchaus so, wie warnende Eltern ihren Kindern ankündigen, sie würden vom vielen Schauen in die Glotze viereckige Augen kriegen. Ja, diese Menschen muteten an wie aus einer Vorabendserie herausgeschnitten. Nur, daß man eben das Ausgeschnittene sah. Den unsauberen Rand.
    Â»Ein Bier bitte«, sagte Ivo zur Bedienung hinter der Theke und setzte sich an einen entfernten Tisch. Er bereute, heruntergekommen zu sein. Er spürte augenblicklich die Feindseligkeit.
    In der Tat machte nun einer von den Burschen die Bemerkung, es sei ziemlich verwegen, so ganz ohne Frauchen ein Bier trinken zu gehen.
    Es muß gesagt sein, daß Ivo nicht annähernd über jene Männlichkeit verfügte, die seine Geschlechtsgenossen animiert

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