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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Mundart lebten. Man wollte Ivo eins auswischen und nicht etwa selbst als dümmliche Figur dastehen.
    Die tiefere Funktion des Dialekts ist die des Gespenstes. Gespenster sollen angst machen. Aber dafür müssen sie in ihrer Schrecklichkeit begriffen werden und dürfen nicht in die Komik einer im weißen Hemdtuch erscheinenden Spukgestalt verfallen. Das ist das Problem: die Brutalität des Dialekts, wie des schwäbischen, zu erhalten, ohne sie aber in der Clownerie aufzulösen.
    Da war also niemand, der in einem fort gesprochen hätte wie auf einer Volksbühne. Nein, eher war man um einen synchronisierenden Ton bemüht und setzte einzelne Dialektbegriffe nur ein, um eben das Brutale zu steigern, ihm eine irrationale Note zu verleihen, etwas Künstliches und Perverses.
    So falsch es gewesen wäre, wenn Ivo ganze Sätze nicht verstanden hätte, so richtig war es, daß einzelne Wörter im Dunkeln blieben, das Dunkle somit verkörpernd. Ivo mußte nicht wissen, welche Variante von Arschloch bezeichnet wurde, wenn von »grombohrds Arschloch« die Rede war. Der Klang sagte alles.
    Â»Redet, was ihr wollt«, meinte Ivo, »ich laß mich nicht ärgern. Wenn euch das Spaß macht, ordinär zu sein, von mir aus. Und sollte jetzt einer auf die Idee kommen, mir zu sagen, er hätte meine Mutter gefickt. Na schön, dann kann er das nur sagen, weil er meine Mutter nicht kennt.«
    Man war irritiert. Es gelang Ivo, seine defensive Art mit einem beleidigenden Ton zu verbinden. Die Burschen hatten ihn provozieren wollen und fühlten sich nun ihrerseits provoziert.
    Von hinten trat einer an Ivo heran und schlug ihm leicht gegen den Hinterkopf.
    Ivo drehte sich langsam zu dem Angreifer um und dozierte: »Es gibt Männer, die sind ständig auf Raufereien aus, damit sie die Körper anderer Männer berühren können, ohne daß jeder gleich kapiert, wie schwul sie sind.«
    Der Angesprochene schien zuerst unsicher, wie das gemeint war. Doch eins der Mädchen rief ihm lachend zu: »Super, Heinz, du bist durchschaut.«
    Der Mann, der Heinz war, befand sich solchermaßen in der höchst unangenehmen Situation, zwar augenblicklich körperlich werden zu wollen, andererseits aber gerade dadurch Ivos Theorie zu untermauern, wobei es in der Tat so ist, daß der männerbündlerische Charakter von Fußballsportverschweißungen homosexuelle Neigungen fördert. Nichts freilich, was ein junger Mann sich gerne vorwerfen lassen möchte. Heinz entschloß sich zuzuschlagen. Beziehungsweise entschied er sich dafür, dies mit einer derartigen Wucht zu tun, daß kein Zweifel an seiner Männlichkeit und der in seiner Männlichkeit blühenden Gewalttätigkeit würde entstehen können. Er war betrunken genug, das zu glauben. Er dachte, die Männlichkeit ließe sich dadurch beweisen, in einer Weise vorzugehen, die suggerierte, er plane seinen Gegner umzubringen. (Als läge nicht genau darin der ultimative Ausdruck der Männerliebe: den anderen Mann töten zu wollen.)
    Er holte ganz weit aus. Ivo konnte es sehen, denn er besaß ein gutes Auge. So, wie er die fingerbreite Spalte oder den kaum sichtbaren, dennoch Halt gebenden Vorsprung im Felsgestein erkannte, erkannte er auch die völlig übertriebene und zudem recht unkoordinierte Einstellung der Schlaghand.
    Richtig, Ivo hatte gesagt, es nicht so mit dem Boxen zu haben. Allerdings war er auf seiner letzten großen Reise – kurz bevor er sich seinen pakistanischen Virus zugezogen hatte – in einem kleinen, weit entlegenen Dorf im Süden Chinas gewesen. Eigentlich hatte er sich auf der Suche nach einem ominösen Hominoiden befunden, war dann aber in einem Drecksloch von Kloster gelandet, wo die Leute in keiner Weise an propere Shaolinmeister erinnerten, eher an verwilderte Bettelmönche. Männer, so voll von Schmutz und vernarbter Haut und üblen Gerüchen, daß Ivo bei sich gedacht hatte, gleich auf eine ganze Horde jener gesuchten Hominoidenart gestoßen zu sein: Mensch und Affe und Mönch. Es brauchte eine ganze Zeit, bis ihm bewußt wurde, daß sich unter diesen Männern auch Frauen befanden, vom Dreck, der an ihnen klebte, vollständig getarnt. Was er freilich nie herausfand, war die Religion, der dieser gemischte Oden anhing, nicht das übliche Buddhistische, auch keine christlichen Elemente. Vielleicht etwas, das man im Westen

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