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Die Haischwimmerin

Die Haischwimmerin

Titel: Die Haischwimmerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Pistole der Marke Verlaine gelagert hatte, eine Waffe freilich, die sie als eine bessere Art von Pfefferspray empfand.
    Â»Ganz wie Sie wollen«, sagte Yamamoto und nickte jetzt der Ärztin zu, welche begann, den Leichnam vollständig abzudecken.
    Lilli und der Samurai verließen die Gerichtsmedizin. Durch einen grün gefliesten Gang traten sie nach draußen, hinaus in das Gewirr der Gassen und Wege, der Gerüche, des Gestanks, der Stimmen. An einigen Stellen drängten sich dicht die Menschen, andere schienen leer und still und tot. Manche Straßen waren nicht höher als ein Stockwerk, andere reichten in schmalen waagrechten Fluchten bis zur Gewölbedecke hin, dort, wo die Ventilatoren sich drehten und die Luft nach unten drückten. Und mit der Luft mitunter auch Wasser. Ja, es regnete soeben. Lilli hielt ihr Gesicht den fallenden Tropfen entgegen. Sie machte keine Anstalten, sich zu schützen, dem Regen auszuweichen. Yamamoto sah es mit Respekt.
    Wenn man es aber einmal als natürlich annimmt, im Regen naß zu werden, kann man mit unbewegtem Geist bis auf die Haut durchnäßt werden. Diese Lektion gilt für alles.

16
    Die gesamte Familie, eine Schar von Menschen jeden Alters, drängte sich in einem dunklen, niedrigen Raum, dessen Wände von einer durchgehenden Collage aus festgenagelten Bildrollen, Seidenstoffen und alten Zeitungsausschnitten zusammengehalten schienen. Bei den Leuten handelte es sich um mongolische Burjaten. Es war deutlich zu sehen, wie sehr die Anwesenheit zweier Polizisten sie einschüchterte. Kinder und Erwachsene bildeten einen dichten Schwarm, der vor dem Hintergrund der Wanddekoration kaum auszumachen war. Nur ein Junge stand außerhalb dieses Schwarms, Yamamoto als Übersetzer dienend. Wobei nicht viel herauskam. Die Tote war die älteste Tochter gewesen, aber niemand hier mochte oder konnte sagen, was sie eigentlich getan hatte. In der Regel ein Hinweis auf Prostitution. Doch der übersetzende Junge meinte, es sei etwas anderes gewesen, womit Valerija ihr Geld verdient habe. Und zwar als einzige, die ganze Familie habe davon gelebt. Aber auch er könne nicht sagen, woher dieses Geld gekommen sei, Geld, das nun schrecklich fehlen werde.
    Yamamoto erkundigte sich nach etwaigen Freunden und Bekannten Valerijas. Doch der Junge schüttelte den Kopf. Wenn seine Schwester abends nach Hause gekommen war, habe sie jedem ihrer Geschwister eine Süßigkeit in die Hand gedrückt, dem einen oder anderen liebevoll die Hände auf die Stirn gelegt, Schläfen massiert, Wangenküsse gegeben und sei dann in ihr Zimmer gegangen. Es verstehe sich, daß sie als einzige über ein eigenes Zimmer verfügt habe.
    Nun, »eigenes Zimmer« war ein großes Wort für den winzigen Raum, in den sich Lilli und der Samurai jetzt bringen ließen. Sie schickten den Jungen wieder nach draußen und untersuchten das fensterlose, mit Fellen und Tüchern und vielen kleinen Polstern ausgestattete, schattenreiche Frauen zimmer . Alles war so klein, daß man sich wie in einer Puppenküche vorkam, einem stark verzierten Kaufmannsladen. Auf einem Schemel lag ein Stoß von Modezeitschriften, der die Sehnsucht nach einer anderen, einer glamourösen Welt verriet. An den Wänden klebten Photos von Irina Pantajewa, einer geborenen Burjatin, die als Schauspielerin und Photomodell im Westen berühmt geworden war. Und deren Karriere ein Ansporn für Valerija gewesen sein mochte, irgendwann von diesem dunklen Ort wegzukommen.
    Â»Also, ich glaube trotzdem, daß sie auf den Strich gegangen ist«, meinte Yamamoto, während er die Schubladen eines kleinen Schranks durchwühlte.
    Â»Nur, weil sie Geld nach Hause gebracht hat, muß sie keine Hure gewesen sein.«
    Â»So viele Möglichkeiten gibt es hier nicht. Hätte sie ihr Einkommen als Köchin oder Arbeiterin verdient, wir wüßten es.«
    Â»Na, dann muß doch auch herauszufinden sein, ob sie angeschafft hat oder nicht. Soweit ich weiß, gibt es in Toad’s Bread keine geheime Prostitution.«
    Â»Stimmt schon, aber es sollte auch niemanden geben, der vier Frauen umbringt, ohne daß wir sagen können, wieso er das tut.«
    An anderen Orten der Welt hätte ein Kriminalkommissar jetzt sicher sein Handy aus der Tasche gezogen, um einen Mitarbeiter anzuweisen, sich kundig zu machen, inwieweit Valerija, beziehungsweise eine Frau ihres Aussehens, für

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