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Die halbe Sonne

Die halbe Sonne

Titel: Die halbe Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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oder weniger geschickte Schauspieler. So ist der Arbeitsminister ein Rabauke, der im Hafenviertel von Piräus rekrutiert wurde. Anders lassen sich seine Maßnahmen beim letzten Streik nicht erklären. Der Minister für Bildung und Religion ist dagegen ein Pfau. Er steht vor den Mikrofonen wie vor dem heimischen Spiegel und plustert sich auf. Obwohl die erste Frau auf dem Posten des Kulturministers tatsächlich eine ehemalige Schauspielerin ist, wurde ihr in den Jahren der Militärdiktatur der Pass abgenommen, weshalb sie über jeden Zweifel erhaben ist. Es macht nichts, dass sie sich die Haare blond färbt oder Argumente gelegentlich durch Kraftausdrücke ersetzt. Ihr Passierschein zur griechischen Seele gilt an allen Wochentagen, einschließlich der roten.
    In der Politik geht es entweder um Personen oder um Prinzipien. Die tägliche Kärrnerarbeit, in einer Demokratie funktionierende Kompromisse zu finden, ist keineswegs unwichtig. Aber die Probleme werden nicht im Parlament gelöst, sondern in Hinterzimmern oder auf Plätzen. Und dazu gehört Geschick. Personen, die die Gunst des Vaters gewinnen, beherrschen dieses Spiel – aalglatt wie Taschendiebe, verschlagen wie Puffmütter, immer für eine Überraschung gut. Ihre Parteizugehörigkeit ist nicht entscheidend. Trotz Protesten hält er beispielsweise zum Außenminister mit der riesigen Leibesfülle. Zwar ist der Mann der Enkel eines Diktators aus den zwanziger Jahren, aber auch ihm wurde während der Militärdiktatur der Pass entzogen, und keiner kann die Opposition besser »stechen« – wie eine Mücke quälen – als er. Als der Minister erklärt, die Türkei gehöre zu Europa, da das Land ein Teil der europäischen Geschichte sei, zeigt der Vater zufrieden auf den Fernseher: »Schau her, ein Visionär.« Doch als derselbe Politiker die türkische Führung nur sechs Monate später eine Bande von »Mördern, Vergewaltigern und Dieben« nennt, platzt ihm der Kragen. Wenn man ihn daran erinnert, welcher Meinung er ein halbes Jahr zuvor war, antwortet er mit Lippen so schmal wie Zypressennadeln: »Leute, die an Visionen leiden, sollten zum Augenarzt gehen.«
    Die größte Faszination geht von Andreas Papandreou aus. Er ist zwölf Jahre älter als der Vater und hat während seiner Lebensspanne die Öffentlichkeit geprägt. Lange verteidigt der Vater ihn trotz Korruptionsvorwürfen und einer dritten oder vielleicht auch vierten Ehe, diesmal mit einer sechsunddreißig Jahre jüngeren Stewardess. Er lacht über die boshaften Witze und Karikaturen, allerdings nicht immer von ganzem Herzen. Insgeheim erwartet er ein Comeback – nicht nur große Worte, sondern eine Reform, die das Land in seinen Grundfesten erschüttern wird. Trotz der rhetorischen Vereinfachungen und Einigungen hinter verschlossenen Türen hat Papandreou für ihn Züge von Odysseus. Im Laufe der Jahre verwandelt er sich zwar in die grauhaarige Parodie eines Kraftprotzes, bleibt aber dennoch listenreich. Wird es ihm gelingen, die Prätendenten zu vertreiben und die Kontrolle über das Reich zurückzuerobern? Als die Revanche von Gegnern auf beiden Seiten der politischen Scheidelinie endgültig pulverisiert wird, hat der Vater längst aufgegeben. Und als der betagte Politiker versucht, die Geschäfte des Landes mit der Nation und seiner Herzlungenmaschine im Stand-by-Modus zu führen, kann er nur noch den Kopf schütteln. Papandreou hat sich gegen die einzige Regel versündigt, die ein Grieche niemals verletzen darf: Er hat sich überflüssig gemacht.
    Gegen Ende seines Lebens kehrt der Vater zu der Haltung zurück, die seine Jahre im Ausland prägte: sachorientiert, befreit von Propaganda und Demagogie, bemüht, nicht den kleinsten, sondern größten gemeinsamen Nenner anzustreben. Er hat genug von Versprechen, die mit gekreuzten Fingern gegeben werden, er hat genug von vergoldeten Phrasen, denen niemals Taten folgen. In einem Land, in dem die Universitäten ihre Hochschullehrer auf Grund ihrer politischen Zugehörigkeit auswählen, bedarf es unabhängiger Kräfte. Der Vater lehnt es ab, sich vor einen Parteikarren spannen zu lassen. Lieber sät er Unsicherheit, als in eine einfarbige Ecke gedrängt zu werden. Wenn er mit linken Freunden spricht, amüsiert es ihn zu betonen, dass sich vieles ändern könnte, wenn die gegnerische Seite nur Gehör für ihre Worte über Traditionen fände. Wenn er mit konservativen Kollegen von anderen Lehrstühlen spricht, weist er umgekehrt darauf hin, dass es höchste

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