Die Hallen der Unendlichkeit (German Edition)
gebe! Nein, mein hübsches kleines Menschlein, ich will Ersatz für Liebe! Wer so hässlich ist wie ich, der bekommt keine Liebe. Ich will dafür Schöngeistiges. Ein Gedicht! Sagt ein Gedicht auf, das ihr für mich gemacht habt. Mit weniger gebe ich mich nicht zufrieden.“
Die Gefährten wechselten ratlose Blicke. Wie um alles in der Welt sollten sie jetzt an ein Gedicht kommen?
„Äh, dürfen wir uns vielleicht kurz beraten?“, fragte Jonathan leise.
„Nein! Warum denn?“, kam aus der schwarzen Ecke die Antwort.
„Ich weiß eines“, sagte Mike leise zu seinen Gefährten. Er räusperte sich und trat einen Schritt vor, um dann mit lauter Stimme vorzutragen:
„Knecht Ruprecht, guter Gast!
Hast du mir was mitgebracht?
Hast du was, dann setzt dich nieder,
Hast du nichts, dann geh nur wieder.“
Aus der Ecke klang ein Gebrüll, das die Gefährten wie laute Paukenschläge in ihren Mägen spürten. „Du willst mich doch wohl hoffentlich erheitern? Das sollte meine Bezahlung sein? Das war ein Gedicht, extra für mich gemacht?“
Mike, der vor Schreck auf den Hosenboden geplumpst war, sparte sich jede Antwort. Er wollte den Schaden nicht noch größer machen, als er war.
Hans begann zu sprechen. Seiner Stimme hörte man an, dass seine Nerven angespannt waren. „Ruhe, Zeit, Papier und Stift.
Krakelige, schräge Schrift.
Mutterwitz!
Geistesblitz!
Phantasie, dem Grau des Alltags fern,
o wie lasse ich mich gern
von dir tragen weit hinfort
an einen kunterbunten Ort,
Wort für Wort!“
Gespannt warteten die Gefährten auf eine Reaktion. Würde diese Bezahlung akzeptiert werden? Oder gefiel diese Währung auch nicht? Aber es blieb still in der Ecke.
„Bist du noch da?“, fragte Hans leise.
Und da meldete sich die Stimme wieder, nicht mehr ganz so zischend, etwas weniger bösartig, dafür schien sie nachdenklich zu klingen. „Das müssen die Worte eines Dichters sein. Das ist gut. Es gefällt mir. Auch ich bin auf die Phantasie angewiesen, wenn ich diesen Ort, der mein Gefängnis ist, verlassen will. Ich werde es mir merken und noch oft hier in meiner Einsamkeit vor mich hin murmeln.“ Ein weiteres Schweigen, kürzer diesmal, dann: „Ihr seid sieben Menschen. Das ist gut. Sogar sehr gut, auch wenn ihr nicht wisst, wieso das so ist. Also gut! Dann geht!“
Bevor noch einer der Gefährten etwas sagen konnte schoss plötzlich ein skelettartiger Arm mit zwei klauenartigen Händen daran aus der Dunkelheit hervor. Die mit langen Krallen versehenen Finger versanken in der Ritze zwischen steinernem Türblatt und anstoßendem Felsblock und öffneten blitzschnell die Tür. Aus der dahinter liegenden Dunkelheit erscholl ein mächtiges Rauschen. Ein Luftzug, der die Gefährten von den Beinen riss, zog sie in die Finsternis.
Die Halle des maßlosen Reichtums und des immerwährenden Glücks
Kein echtes Wiedersehen
Die Tür knallte zu. Der damit verbundene Donnerhall beendete gleichzeitig den mächtigen Luftzug und das damit verbundene Rauschen. Taumelnd kamen die Gefährten auf die Beine und versuchten sich in der Dunkelheit zu orientieren. Pietrino weinte und schrie nach Salvatore. Hans ließ seine Stablampe aufflammen. Das Licht beruhigte nicht nur den jüngsten der Gruppe. Hans ließ den Lichtkegel kreisen.
„Tja, sieht ganz so aus, als wäre der Würfel auf der Pyramide in zwei gleich große Räume aufgeteilt“, stellte Hans sachlich fest. „Wir sind jetzt in dem zweiten, würde ich sagen.“
„Und wo ist der Ausgang?“, fragte Brutus.
„Ich sehe keinen“, bemerkte Hans trocken, während der Lichtstrahl weiter die steinernen Wände und den Boden abtastete.
„Ich wusste gar nicht, dass du aus dem Stegreif Gedichte verfassen kannst“, sagte Jonathan anerkennend.
Hans lächelte etwas gequält. „Da ich hoffe, dass die Tür zum anderen Raum im Würfel schalldicht ist, gebe ich zu, dass es zwar von mir erdacht ist, aber ich habe es schon vor langer Zeit zusammengereimt. Ich habe mal in Erwägung gezogen, gemeinsam mit meiner Frau die Abenteuer, die wir in den Hallen der Unendlichkeit erlebt haben, als Roman niederzuschreiben. Dieses Gedicht hätten wir der Erzählung voran gestellt. Tja, daraus wurde nichts, weil meine Frau in einem Urwaldwasserfall ertrank. Allein kriege ich es irgendwie nicht hin. Sie hätte dabei sein müssen.“
Brutus hatte ganz andere Interessen. Hektisch ging er in dem Raum umher. „Sitzen wir hier etwa in der Mausefalle? Ich sehe keine Möglichkeit für
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