Die Hand am Sack: schwule erotische Geschichten (German Edition)
vielleicht innerlich zerrissen. Wir werden uns wieder sehen und noch viel diskutieren, da bin ich mir sicher. Ob sich das am Kaffeetisch oder im Bett zutragen wird, weiß der Himmel.
Das Phantom (2006)
Wenn ich an Matthias denke, erscheint mir alles unwirklich wie in einem Traum. Geheimnisvoll und wie im Nebel liegen unsere Begegnungen, sodass ich mich manchmal frage, ob es nur ein Traum war oder Realität? Ich bin nicht sicher. In meinem Tagebuch finden sich detaillierte Beschreibungen der Abenteuer, die wir erlebt haben, also kann ich davon ausgehen, dass sie tatsächlich stattgefunden haben. Dennoch umgibt das Geschehen etwas Mystisches, bleibt die Geschichte im Dunkeln und von Rätseln umgeben. Deshalb spreche ich von Matthias, dem Phantom . Wir sind uns nur zweimal in den Anlagen des Schlossgartens begegnet und das im Abstand von fast einem Jahr. Seither habe ich ihn nicht mehr getroffen, weder im Park noch sonst irgendwo in der Szene. Ich besuche auch nur selten einschlägige Lokale, und wenn ich ihm bei Tageslicht gegenüberstünde, etwa auf der jährlichen CSD-Hocketse auf dem Marktplatz oder im schwulen Buchladen im Gerberviertel, wüsste ich nicht, ob ich ihn erkennen würde.
Unsere erste Begegnung fand im Sommer 2002 statt, wenige Tage nach meinem fünfzigsten Geburtstag. Fünfzig! Was für eine magische Zahl! Was für eine grauenhafte Ansammlung von Jahren! Gehörte ich nun zum alten Eisen? Konnte ich überhaupt noch Jeans tragen, ohne mich lächerlich zu machen? Solche Gedanken trieben mich um, erschien mir doch von jeher nichts peinlicher, als ein auf jung getrimmter alter Sack. Also wollte ich zu meinem Alter stehen und fertig, doch das war leichter gesagt als getan. Wuchs man allmählich in das Alter hinein oder wachte man eines Morgens auf und stellte voll Entsetzen fest, dass man nicht mehr zu den Jungen gehörte und einem die Zeit davongelaufen war? Fragen über Fragen. Und obendrauf, als Sahnehäubchen, die bestürzende Erkenntnis, dass einem die Jahre zwischen den Fingern zerronnen waren wie feiner Sand, ohne dass man gelebt hat.
Ich hatte meinen Fünfzigsten mit ein paar Freunden bei einer Grillparty auf dem Land gefeiert und wollte mir einige Tage später noch etwas Gutes tun. Außerdem brannte mir die Frage unter den Nägeln, ob ich auch jenseits der magischen Altersgrenze im Park noch Chancen hatte. Vielleicht wartete ja auf einer idyllischen Parkbank ein verspätetes Geburtstagsgeschenk auf mich, ein Schnuckel, hübsch verpackt und zu allem bereit. Also, kurz unter die Dusche, in die Jeans geschlüpft und ab in den Schlossgarten. Doch welche Enttäuschung! Lauter junges Gemüse, viele Stricher oder alte Säcke, noch älter als ich, von denen keiner mehr was wollte. Ein Schauer lief mir über den Rücken bei dem Gedanken, dass ich selbst bald zu dieser Kategorie gehören würde, vielleicht am Stock durch den Park hinkend, nach einem Quäntchen Glück suchend und nur noch Liebe findend, wenn man dafür bezahlte. Wie furchtbar!
Ich versuchte, solche Gedanken zu verdrängen und klapperte die bekannten Treffpunkte ab, ein, zwei Stunden lang, leider ohne Erfolg. Auf die Art kam ich wenigstens zu der Bewegung, die mir der Arzt verordnet hatte. »Viel spazieren gehen an der frischen Luft wird Ihren erhöhten Blutdruck senken.« Natürlich hatte ich sofort an den Park gedacht, das aber lieber für mich behalten. Freilich soll man es mit körperlicher Betätigung auch nicht übertreiben. Darum streckte ich nach zweieinhalb Stunden die Flügel und gab resigniert auf. Lieber trat ich unverrichteter Dinge wieder den Heimweg an, als mich einem Schleimer hinzugeben. Noch eine letzte Runde, dann strebte ich dem Ausgang des Parks zu, wo ich in der Nähe meinen Wagen geparkt hatte. Und dort kam er mir entgegen. Das Phantom. Schon von Weitem fiel mir die beeindruckende Silhouette auf, groß, schlank, breitschultrig, gute Figur. Als er näher kam, fand ich meinen ersten Eindruck bestätigt. Volles, hübsches Gesicht ohne Bart, dunkle, kurz geschnittene Haare mit Scheitel. Unser Blickwechsel beim Vorübergehen dauerte etwas zu lang. Ich drosselte meine Schritte und ärgerte mich darüber, dass ich gerade jetzt im Begriff war zu gehen. Hätte ich nicht einen Moment länger an meinem Platz ausharren und auf Beute warten können? Vielleicht wäre er mir ins Netz gegangen. Schließlich nahm ich allen Mut zusammen, blieb stehen und blickte zurück. Auch der Kerl hatte seinen Schritt verlangsamt und sich
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