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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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vor dem Porträt von Lucian Freud stehen blieb, »ich glaube, er hätte dir genau das Gleiche geraten. Und das weißt du auch. Er hätte keine Sekunde gezögert. Du erinnerst dich doch, wie er die Hepworth-Lithographie verkauft hat, damit du bei uns anfangen konntest?«
    Lexie schwieg, aber sie nahm langsam die Hände herunter.
    Laurence ging weiter, vorbei an dem Minton, dem Colquhoun und dem Bacon. Vor dem Pollock blieb er stehen und klopfte mit dem Fingernagel auf den Rahmen. »Dafür bekommt ihr ein Haus, Theo und du. Es gibt doch wirklich keine bessere Werbung für einen Künstler als den Tod.«
    »Nicht den Pollock«, murmelte Lexie, während sie Kuchenkrümel aus den Falten ihres Kleides klaubte.
    Laurence drehte sich fragend zu ihr um.
    »Sein Lieblingsbild«, sagte Lexie.
    In der Kochnische stieß Theo plötzlich ein jämmerliches Geheul aus. Lexie ging zu ihm und hob ihn aus seinem Berg aus Töpfen, Backblechen und Plätzchenformen heraus. Erschöpft kuschelte er sich an ihre Schulter, steckte den Daumen in den Mund und schlang die andere Hand in ihre Haare.
    »Die Skizze von Giacometti könnte etwas einbringen. Sie ist signiert«, sagte Laurence. »Die Preise haben in den letzten Jahren angezogen. David und ich können ihn für dich verkaufen, wenn du möchtest.«
    »Danke«, murmelte Lexie.

    »Und zwar anonym. Es braucht kein Mensch etwas davon zu erfahren.«
    »Einverstanden.« Sie wandte sich ab. »Nimmst du ihn dann bitte gleich mit?«

    Sie kaufte das dritte Objekt, das sie besichtigte - die untere Hälfte eines Hauses in Dartmouth Park. Zwei Zimmer oben, zwei unten, eine Diele, die von der Haustür bis zur Hintertür führte. Dahinter ein Fleckchen Garten mit einem verwachsenen Apfelbaum, der im Herbst süßfleischige gelbe Früchte trug. Lexie hängte an den Ästen eine Schaukel auf, in der Theo in den ersten Wochen nach dem Umzug oft saß, die Füße auf den hölzernen Sprossen, und erstaunt zusah, wie sie barfuß auf den Baum kletterte und Äpfel in ihren geschürzten Rock sammelte. Sie riss die verrotteten Teppichböden heraus und das alte, feuchte Linoleum, scheuerte die Dielenbretter blank und lackierte sie. Sie tünchte die Rückseite des Hauses weiß. Während Theo mit einer Gießkanne im Garten hin und her lief, putzte sie die Fenster mit Zeitungspapier und Essig, bis die Sonne hell hindurchscheinen konnte. Sie konnte es kaum glauben, dass sie ein eigenes kleines Grundstück besaß, ein Gebilde aus Ziegeln, Mörtel und Glas. Es war ein unfassbarer Tausch: Geld gegen Freiheit. Abends, wenn Theo schlief, ging sie oft von Zimmer zu Zimmer und einmal rund um den Garten. Sie konnte ihr Glück nicht fassen.
    Nur der verlorene Giacometti hing ihr nach. Sie hängte die Bilder immer wieder um, um eine Anordnung zu finden, bei der das Fehlen der Skizze nicht auffiel. Du hattest keine andere Wahl, sagte sie sich immer wieder, du hattest keine andere Wahl. Und: Er hätte nichts dagegen gehabt in
dieser Situation, er hätte es selbst vorgeschlagen. Aber das schlechte Gewissen und die Reue nagten trotzdem an ihr, spät in der Nacht, wenn sie die Bilder von der Wand nahm, um wieder einmal eine neue Hängung zu probieren.
    Um sich abzulenken, arbeitete sie, wie immer. Die Frauen, zu denen wir werden, nachdem wir ein Kind bekommen haben, schrieb sie, dann hielt sie inne, um das Blatt Papier geradezurücken. Sie warf einen Blick auf die Bilder, ohne sie richtig zu sehen, legte den Kopf auf die Seite, um auf Theo zu horchen. Nichts. Stille. Die schwere Stille des Schlafes. Sie konzentrierte sich wieder auf die Schreibmaschine, auf den Satz, den sie getippt hatte.

    Wir sehen mit einem Mal anders aus, schrieb sie weiter. Wir kaufen Schuhe mit flachen Absätzen, wir schneiden uns die langen Haare ab. In unseren Handtaschen haben wir angebissene Zwiebäcke, einen kleinen Traktor, einen geliebten Stofffetzen, eine Plastikpuppe. Unsere Muskeln werden schlaff. Wir werden um unseren Schlaf, unsere Vernunft, unseren gesunden Menschenverstand gebracht. Unsere Herzen verlagern sich aus unserem Körper heraus. Sie atmen, sie essen, sie krabbeln und - siehe da! - sie laufen, sie fangen an, mit uns zu reden. Wir lernen, dass wir manchmal nur schrittweise vorankommen können, weil jeder Stock, jeder Stein, jede zerquetschte Dose auf dem Weg untersucht werden will. Wir gewöhnen uns daran, nicht ans Ziel zu kommen. Wir lernen stopfen, vielleicht sogar kochen, die Knie von Latzhosen zu flicken. Wir gewöhnen uns daran, mit

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