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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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Schloss von Dornröschen.«
    Ted überlegte krampfhaft. War das das Märchen mit dem gläsernen Pantoffel? Nein. Oder das mit der Frau, die den langen Zopf hatte? Er spielte auf Zeit. »Inwiefern?«, f ragte er.
    »Sieh es dir doch an!«, entgegnete sie gereizt. »Man kann es vor Unkraut kaum noch sehen. Noch ein paar Wochen, dann ist es ganz überwuchert. Und wenn ich irgendwann doch mal wieder Zeit haben sollte zu arbeiten, komme ich nicht mehr rein.«
    Deshalb kniet er nun hier im Gras. Er will ihr Studio davor bewahren, vom Garten verschluckt zu werden. Er möchte ihr eine Freude machen. Er möchte, dass sie glücklich ist. Er möchte, dass das Kind länger durchschläft als nur drei Stunden. Er möchte, wenn nicht sein altes Leben zurück, so doch zumindest irgendeine Art von Leben, nicht dieses ständige Taumeln von einem Tag zum nächsten. Er möchte, dass Elina keine dunklen Ringe mehr unter den Augen hat, nicht mehr diese angespannte, verkniffene Miene. Er möchte, dass das Haus nicht mehr nach Kacke riecht. Er möchte, dass es Zeiten gibt, in denen die Waschmaschine
nicht läuft. Er möchte, dass sie nicht mehr wütend auf ihn wird, wenn er vergisst, die Wäsche aus der Maschine zu nehmen, die Wäsche auf die Leine zu hängen, die Wäsche zusammenzulegen, Windeln zu kaufen, Essen zu kochen, den Tisch abzuräumen.
    Ted schneidet und schneidet. Als er den Bereich vor der Tür zum Atelier gerodet hat, stopft er die Pflanzen in einen Plastiksack.
    Der Bewegungsablauf ist einfach und immer gleich: kratzkratz-klaub mit der einen Hand und dann rutsch in den Sack, den die andere hält. Sie haben etwas Hypnotisches, die Geräusche, die Bewegungen. Ted beobachtet seine Hände, die diese überschaubare Aufgabe wie ohne sein Zutun verrichten. Er ist der typische Mann, der typische Vater, der an einem Samstagnachmittag im Garten arbeitet. Irgendwo über ihm rattert ein Hubschrauber. Mit einem Saarh strömt der Atem in Ted herein, mit einem Haarh wieder hinaus, die Lungenflügel wie Blasebälge, die seinen Körper mit Sauerstoff versorgen. Und vielleicht liegt etwas Vertrautes in seiner Tätigkeit, in seinen Bewegungen, vielleicht vereinigen sich aber auch nur mehrere Elemente zu einer neuen Verbindung, denn plötzlich ist ihm so, als ob er durch eine Falltür gestürzt wäre oder in ein Kaninchenloch. Ted sieht sich selbst als kleinen Jungen: Er hockt auf einem Rasen und hält eine kleine grüne Plastikharke in der Hand.
    Ted blinzelt. Er richtet sich auf, dreht den Kopf von links nach rechts.
    Und schon ist er wieder zurück, in seinem Leben. Das Unkraut, die Schere, der Garten, Elina und Jonah hinter ihm im Haus. Aber gleichzeitig ist er auch der kleine Junge, der auf einem Rasen hockt, eine grüne Plastikharke in der Hand. Hinter ihm sind Leute. Sein Vater, der in einem
Liegestuhl sitzt, und noch jemand, knapp außerhalb seines Gesichtsfeldes: der Saum eines langen roten Kleids und ein nackter Fuß, violett lackierte Zehennägel, Schuhe im Gras. Sein Vater zündet sich eine Zigarette an, und er sagt etwas. So etwas habe ich nie behauptet. Dann eine plötzliche Bewegung, und die andere Person springt aus ihrem Liegestuhl auf. Ted sieht das Rot ihres Kleides, das ihr um die Waden wirbelt. Sieht den roten Saum, die violetten Zehennägel, das grüne Gras. Das kommt nicht in Frage , sagt sie.
    Und dann geht sie.
    Mit wehendem Kleid geht sie weg, zum Haus - aber was ist das eigentlich für ein Haus? Wo sind sie hier, was ist das für eine Terrasse mit Blumentöpfen, was für eine schmale Tür? Ted sieht ihren Rücken, während sie mit großen Schritten über den Rasen geht, sieht langes, glattes Haar, das mit einem Tuch zusammengebunden ist. Das kommt nicht in Frage. Die Bänder des roten Kleides flattern, nackte Fußsohlen blitzen weiß auf. Ted sieht auf die Harke, die er in der Hand hält. Sieht auf seinen Vater. Auf die Schuhe, die im Gras liegen. Er sieht hinter der Frau in dem langen roten Kleid und mit den langen glatten Haaren her, bis sie in dem dunklen Rechteck der Hintertür verschwunden ist.
    Elina kommt aus der Küche in den Garten, Jonah auf dem einen Arm, eine Decke über dem anderen. Sie will die Decke im Gras ausbreiten, aber mit einer Hand ist es schwierig, und sie fragt: »Ted, kannst du mir helfen?«
    Er steht mit dem Rücken zu ihr. Er dreht sich nicht um.
    »Ted?«, wiederholt sie etwas lauter.
    Ted reibt und rubbelt sich die Stirn. Elina lässt die Decke auf die Holzterrasse rutschen. Sie bereitet

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