Die Hand die damals meine hielt - Roman
»Und noch was …« Doch wieder wird der Satz von einer Wehe abgeschnitten. Sie klammert sich an die Theke. »Verdammt und zugenäht«, hört sie sich brüllen.
»Du lieber Himmel.« Die Schwester schnalzt missbilligend mit der Zunge. Dann hört Lexie, wie sie zu jemand anderem sagt: »Rufen Sie den Kindsvater an? Wir haben seine Telefonnummer hier und …«
»Unterstehen Sie sich«, schreit Lexie. »Ich will ihn hier nicht haben, verflucht noch mal.«
Einige Stunden später klammert sie sich an das Bein eines Krankenhausbetts, wie ein Matrose im Sturm, der sich verzweifelt am Mast festhält, und immer noch sagt sie, dass es zu früh ist, dass sie zu arbeiten hat, und sie flucht - pausenlos. Sie flucht, wie sie noch nie in ihrem Leben geflucht hat.
»Stehen Sie vom Fußboden auf, Mrs. Sinclair. Sofort«, sagt die Hebamme.
»Kommt gar nicht in Frage«, bringt Lexie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Und es heißt Miss, nicht Mrs. Wie oft muss ich Ihnen das noch sagen?«
»Mrs. Sinclair, stehen Sie auf, und legen Sie sich ins Bett.«
»Sie können mich mal«, sagt sie, und dann heult sie und schreit und schiebt einen Schwall von Flüchen und üblen Beschimpfungen hinterher.
»Keine Ausdrücke«, sagt die Hebamme tadelnd. Und sie sagt es wieder und wieder. Wenn sie ihr nicht gerade befiehlt, sich aufs Bett zu legen. Lexie kauert immer noch auf dem Boden, als sie entbindet. Sie müssen das Kind in einem Handtuch auffangen. Der Arzt sagt, er habe noch nie im Leben etwas Vergleichbares gesehen. Wie eine Wilde, sagt er, oder ein Tier.
Keine Ausdrücke. So lauteten die ersten Worte, die Lexies Sohn in seinem Leben hörte.
Später, während der Besuchszeit, strömten Männer in
Hüten und Trenchcoats auf die Station, die Blumensträuße brachten. Lexie beobachtete sie, wie sie nervös an ihren Pralinenschachteln nestelten. Enge Hemdkragen, viel zu glatt rasierte Gesichter. Quietschende Schuhe und regennasse Hüte - und rote Hände, mit denen sie sich auf die Bettchen ihrer Neugeborenen stützten. Lexie lächelte auf ihren Sohn hinunter. In eine gelbe Decke gewickelt sah er mit einem Blick zu ihr auf, in dem stand: Da bist du ja endlich.
»Hallo«, flüsterte Lexie und schob ihm den Zeigefinger in das kleine Händchen.
Neben ihr tauchte eine Schwester auf. »Sie sollen das Kind lediglich beim Stillen halten. Sie ruinieren sich den Rücken. Legen Sie ihn in sein Bettchen.«
»Aber ich will nicht«, sagte Lexie, ohne den Blick von ihm zu nehmen.
Die Schwester seufzte. »Soll ich den Vorhang zuziehen?«
Lexie riss den Kopf hoch. »Nein.« Sie zog das Kind an sich. »Nein«, sagte sie noch einmal.
Gegen Ende der Besuchszeit hallten plötzlich feste, selbstbewusste Schritte durch den Saal. Lexie kannte diese Schritte. Da kam Felix auch schon an den Betten vorbeidefiliert, und auf den Gesichtern der Frauen, die ihn mit bewundernden Blicken verfolgten, leuchtete ein schwärmerisches Lächeln auf. Zu jener Zeit war er jeden Tag im Fernsehen. Huldvoll lächelte er zurück. Sein Mantel stand offen, als ob er in fliegender Eile hergehetzt wäre, in der einen Hand einen riesigen Strauß Orchideen, in der anderen einen Obstkorb. Lexie verdrehte die Augen.
»Liebling«, dröhnte er, als er an ihr Bett trat. »Man hat mich gerade erst verständigt. Sonst wäre ich natürlich viel früher gekommen.«
»Ach ja?«, sagte Lexie mit einem Blick auf die Wanduhr.
»Musstest du nicht bis vor ein paar Minuten im Studio sein?«
Er legte die Blumen aufs Bett, auf Lexies Füße, und sagte: »Ein Junge. Wunderbar. Wie geht es dir?«
»Es geht uns ausgezeichnet.«
Lächelnd beugte er sich zu ihr. »Herzlichen Glückwunsch. Gut gemacht.« Er küsste sie auf die Wange. Dann ließ er sich auf einen Stuhl fallen. »Obwohl ich ein bisschen böse mit dir bin, dass du mir nicht gleich Bescheid gesagt hast. Du armer Liebling, ganz allein hierherzufahren. Das war sehr ungezogen von dir.« Er sah ihr tief in die Augen. »Ich habe meiner Mutter ein Telegramm geschickt. Sie wird entzückt sein. Bestimmt ist sie schon dabei, das Familientaufkleid rauszusuchen.«
»O Gott«, murmelte Lexie. »Die Mühe braucht sie sich wirklich nicht zu machen. Felix, hast du nicht etwas vergessen?«
»Was denn?«
»Warum du hergekommen bist, zum Beispiel.«
»Um dich zu besuchen, natürlich.«
»Und nicht vielleicht auch das Kind? Deinen Sohn? Den du bis jetzt keines Blickes gewürdigt hast?«
Felix sprang auf und sah sich das Kind an. Ein
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