Die Hand die damals meine hielt - Roman
Jonah darin ein Nest, geht zu Ted hinüber und legt ihm leicht die Hand auf die Schulter. »Alles in Ordnung?«
Die Berührung lässt ihn zusammenfahren. »Bestens«, gibt er schroff zurück. »Wieso auch nicht? Was soll schon mit mir sein?«
»Man wird doch wohl noch f ragen dürfen«, blafft Elina zurück. »Deshalb brauchst du mich doch nicht gleich anzuraunzen.«
Er hört auf, sich die Stirn zu reiben, steckt die Hand in die Hosentasche, zieht sie wieder heraus. »Jedenfalls geht es mir bestens.«
»Gut. Nächstes Mal schenke ich mir die Frage.«
Grummelnd wendet Ted sich wieder dem Beet zu. Elina sieht die abgeschnittenen Blumen, die auf der Erde liegen.
»Was treibst du hier überhaupt?«
Er knurrt etwas Unverständliches.
»Wie bitte?«, sagt sie.
Er sieht sie an und sagt: »Jäten.«
»Jäten?«
»Ja. Was dachtest du denn?«
»Keine Ahnung«, sagt sie. »Aber rupft man beim Jäten nicht das Unkraut mit den Wurzeln aus, statt es bloß abzuschneiden? Wächst es nicht wieder nach, wenn man die Wurzeln drinlässt?«
Ted hebt die Schere auf und öffnet sie. Blinkend brechen sich die Sonnenstrahlen an den stählernen Klingen, und Lichtpünktchen stieben durch den Garten. Fast erleichtert fangen sie an, sich zu streiten, als ob sie unbewusst auf ein Ventil gewartet hätten, um sich Luft zu machen. Er sagt, dass man das Unkraut erst abschneiden müsse, bevor man es endgültig beseitigt, und dass Pflanzen ohne Blätter nicht wachsen könnten.
Er verliert die Beherrschung. Er wirft die Schere von sich, mit der Spitze nach unten, so dass sie im Gras stecken
bleibt, wie Excalibur. Damit facht er ihre Wut erst richtig an; sie zeigt auf die Schere, die sich dicht neben ihrem Fuß in den Boden gebohrt hat, und beschimpft ihn als Idioten. Er brüllt, er könne ihr anscheinend gar nichts recht machen.
Jonah liegt in seinem Deckennest auf der Terrasse. Hellwach und konzentriert lutscht er an seinem Daumen. Er macht große Augen, er blinzelt nicht. Er lauscht auf die Stimme seiner Mutter, die laut geworden ist vor Zorn und Kummer, und die vier Monate alten Neuronen in seinem Gehirn versuchen zu dekodieren, was das bedeuten könnte, für sie, für ihn. Für den Bruchteil einer Sekunde umwölkt sich seine kleine Stirn, die perfekte Kopie eines erwachsenen Stirnrunzelns.
Er hört auf zu nuckeln, verzieht zweifelnd das Gesicht, hebt die Beinchen in die Höhe und versucht, sich zu drehen. Er will seine Mutter sehen, will ihr zeigen, dass er beunruhigt ist. Aber noch kann er es nicht, noch ist er nicht alt genug. Er stößt einen f rustrierten Schrei aus - einen kurzen, kaum hörbaren Schrei - und probiert noch einmal, sich auf die Seite zu wälzen. Es geht nicht. Er fuchtelt mit den Ärmchen und zappelt wie ein Fisch an der Angel. Und dann wird ihm plötzlich die ganze Ausweglosigkeit seiner Lage bewusst. Der Daumen fällt ihm aus dem Mund, er verzerrt das Gesicht und brüllt los.
Im Nu ist Elina bei ihm, hebt ihn aus der Decke und läuft mit ihm ins Haus.
Ted bleibt im Garten. Er nimmt sich einen Stock und peitscht damit auf das Unkraut ein. Er zieht die Schere aus dem Rasen, lässt sie wieder fallen. Er lehnt sich einen Augenblick an die Wand von Elinas Studio.
Eine halbe Stunde später sind alle drei umgezogen und sitzen im Auto. Bis auf die Frage »Hast du die Autoschlüssel«
und die Antwort »Ja« haben Elina und Ted kein Wort mehr miteinander gewechselt. Sie fahren zu Teds Eltern, bei denen sie zum Mittagessen eingeladen sind.
»Dabei hatte ich das Ding den ganzen Tag angelassen!« So lautet die Pointe der Geschichte, die Teds Cousine Clara zum Besten gegeben hat. Alles lacht, nur Teds Mutter nicht, die murmelt, wie gefährlich es sei, elektrische Geräte nicht auszuschalten. Elina hat nicht aufgepasst. Es ging wohl um eine Freundin und ein Glätteisen für die Haare. Obwohl sie den Anfang verpasst hat, schmunzelt sie und lacht sogar leise, damit sie nicht auffällt.
Sie sitzen am Tisch. Sie haben gegrillten Fisch gegessen, der mit einer seltsamen, leicht körnigen Soße zugekleistert war, und einen Streuselauflauf, »mit Stachelbeeren aus dem eigenen Garten«, wie Teds Mutter stolz verkündet hat. Teds andere Cousine, Harriet, hat Kaffee gekocht, und jetzt unterhalten sich alle über Claras Reise nach LA vor einigen Wochen, über einen eben angelaufenen Film, den Ted geschnitten hat, über einen Schauspieler, der ein paar Häuser weiter wohnt. Teds Großmutter schimpft vor sich hin, dass sie Sahne in
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