Die Hand die damals meine hielt - Roman
einer Liebe zu leben, die uns durchdringt und erstickt, die uns blendet und beherrscht. Wir leben. Wir betrachten unseren Körper, unsere gedehnte Haut, die silbernen Fäden am Haaransatz, unsere seltsam vergrößerten Füße. Wir lernen, weniger oft in den Spiegel
zu schauen. Wir hängen die Kleider, die chemisch gereinigt werden müssen, ganz hinten in den Schrank. Und irgendwann werfen wir sie weg. Wir trainieren uns ab, »Scheiße« und »verdammt« zu sagen, und gewöhnen uns stattdessen »Scheibenkleister« und »Herrschaftzeiten« an. Wir hören auf zu rauchen, wir färben uns die Haare, wir suchen in Parks, Schwimmbädern, Büchereien und Cafés nach unseresgleichen. Wir erkennen uns an unseren Kinderwagen, unseren müden Blicken nach schlaflosen Nächten, an den Trinkbechern, die wir in der Hand halten. Wir lernen, wie man Brust- und Wadenwickel macht, wie man die vier Symptome der Hirnhautentzündung erkennt und dass man eine Schaukel manchmal zwei Stunden lang anschieben muss. Wir kaufen Plätzchenformen, auswaschbare Farben, Schürzen, Plastikschüsseln. Wir haben etwas gegen Busse, die zu spät kommen, gegen Streitereien auf offener Straße, gegen Raucher im Restaurant, gegen Sex nach Mitternacht. Wir dulden keinen Widerspruch, keine Faulheit, keine kalten Füße. Und wenn wir auf der Straße die jüngeren Frauen sehen, mit ihren Zigaretten, ihrem Make-up, ihren engen Kleidern, ihren winzigen Handtäschchen, ihren ordentlich gekämmten, f risch gewaschenen Haaren, wenden wir uns ab, nehmen den Kopf zwischen die Schultern und schieben den Kinderwagen weiter den Berg hinauf.
Wenn Felix nicht in Malaysia, Vietnam, Nordirland oder am Suezkanal war, kam er vorbei. Mal blieb er einen halben, mal einen ganzen Tag, manchmal auch mehrere Wochen. Er ließ Theo auf seinem Schoß reiten, hob ihn nach ein paar Minuten wieder hinunter und griff zu seiner Zeitung oder legte sich im Garten auf die Decke, während der Junge neben ihm spielte. Als Lexie einmal in den Garten kam, war Felix eingeschlafen und über und über mit Sand bedeckt. Theo lief mit seiner Schaufel in der Hand eifrig zwischen
dem Sandkasten und seinem Vater hin und her und grub ihn Stück um Stück ein.
Es ist schwer zu sagen, was Theo von Felix hielt, von diesem Mann, der in langen Abständen zu Besuch kam und ihm teure, aber unpassende Geschenke mitbrachte - einen Technikbaukasten für einen Einjährigen, einen Kricketschläger für ein Kind, das noch nicht laufen konnte. Theo nannte ihn weder »Daddy« noch »Dad« (»Alberne Namen, findest du nicht?«, sagte Felix), sondern »Felix«. Felix nannte ihn »alter Knabe«, worüber Lexie sich jedes Mal ärgerte.
T ed steht im Garten und betrachtet das Blumenbeet. Obwohl »Blumenbeet« wohl nicht ganz das richtige Wort dafür ist. Ackerwinden- und Ampferbeet. Unkrautdickicht. Kraut-und-Rüben-Acker.
Seufzend beugt er sich darüber, um einen besonders dreisten Schmarotzer herauszuziehen, aber der krallt sich in der Erde fest und bricht ab. Er seufzt noch einmal und wirft die abgerissenen Wedel weg.
Elina ist im Haus. Sie redet mit Jonah, auf Finnisch. Sie hat Ted erzählt, dass sie zur Abwechslung manchmal auch noch auf Schwedisch umschaltet. Für ihn hört sich das eine wie das andere an. Er ist mit ihrer Sprache vollkommen überfordert. Sein finnischer Wortschatz umfasst genau zwei Begriffe: »danke« und »Kondom«. Früher hat Elina nie viel Finnisch geredet - höchstens, wenn sie mit ihrer Familie telefoniert oder sich mit einer finnischen Freundin getroffen hat. Aber jetzt scheint sie nichts anderes mehr zu sprechen.
Ted greift zur Heckenschere und kniet sich ins Gras. Als er die Schere öffnet, gleiten die Klingen mit einem klaren Ssschkkk auseinander. Erstaunlicherweise sind sie innen nicht angerostet. Er hält das stählerne V dicht über den Boden und schneidet. Die Pflanzen fallen um. Er schneidet und schneidet und schneidet. Bald ist er ringsum von abgeschnittenem Unkraut umgeben.
Gestern ist er überraschend dazugekommen, als Elina versonnen aus dem Fenster in den Garten sah. Sie hatte Jonah an der Schulter, mit den Augen in Richtung der Tür, und sie bemerkte Ted nur, weil der Kleine unvermittelt mit dem Kopf ruckte.
»Was schaust du?«, f ragte er, während er die Arme um sie legte und für Jonah, der ihn erstaunt ansah, eine lustige Grimasse schnitt.
»Mein Studio«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. »Ich stand gerade hier und dachte mir …«
»Was?«
»Es sieht aus wie das
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