Die Hand die damals meine hielt - Roman
lachen.
»Sonst kann ich mir keinen Grund vorstellen, warum Sie so geheimnisvoll tun. Sie können es mir ruhig sagen. Ich verrate keiner Menschenseele etwas.«
Er steuert durch eine Haarnadelkurve. »Glauben Sie, das nehme ich Ihnen ab? Sie sind schließlich Journalistin.« Als sie durch ein Schlagloch fahren, macht der Wagen einen heftigen Satz, so dass sie auf ihren Sitzen durchgeschüttelt werden. Das findet Theo ebenfalls sehr lustig. »Die Wahrheit ist so langweilig, dass ich sie Ihnen jetzt gar nicht mehr sagen möchte. Ich fühle mich moralisch verpflichtet, das Fantasieleben noch etwas zu verlängern, das Sie sich für mich ausgedacht haben.«
»Bitte. Erlösen Sie mich von meinen Qualen.«
»Ich bin Biograph.«
Der Finger mit dem Tintenfleck, die Brille - alles fügt sich zusammen. »Jetzt verstehe ich«, sagt sie mit einem Schmunzeln.
»Was verstehen Sie?«
Achselzuckend schaut sie durch die Windschutzscheibe. »Jetzt verstehe ich alles.«
»Und was wäre das genau?«
»Sie. Warum Sie so … widerborstig sind. Sie wollen mich hier nicht haben. Sie basteln fleißig an einer Fitzgerald-Biographie, und das Letzte, was Sie dabei gebrauchen können, ist, dass Ihnen die Konkurrenz ins Haus schneit.«
»Die Konkurrenz?« Es geht noch einen steilen Berg hinauf, dann kommen sie unter den Bäumen heraus und halten neben einem großen, halb zerfallenen Gebäude an, das an der Steilküste steht. »Werteste, wenn Sie sich einbilden, dass Sie mir und meiner Arbeit mit Ihrem Interview - oder was auch immer Sie sonst mit Fitzgerald vorhaben - gefährlich werden können, muss ich Sie leider darüber aufklären, dass Sie an schweren Wahnvorstellungen leiden.«
Lexie steigt aus, setzt sich Theo auf die Hüfte und fischt ihren Koffer von der Ladefläche. »Sagen Sie mal, schreiben Sie eigentlich auch so, wie Sie reden?«, fragt sie.
Er hievt sich aus dem Wagen und mustert sie über das Dach hinweg. »Wie meinen Sie das?«
»Ich frage mich bloß, ob Sie aus Prinzip lieber zwanzig Wörter benutzen, wo es zehn genauso gut tun würden.«
Er lacht und marschiert über den Kies zum Haus. An der Tür dreht er sich noch einmal halb zu ihr um. »Wenigstens kenne ich den Unterschied zwischen einer Frage und einer Behauptung.«
Lexie knallt die Autotür zu und folgt ihm.
Von Fitzgerald ist keine Spur zu sehen. Bis sie mit Theo über die Schwelle getreten ist, ist auch ihr Fahrer verschwunden. Lexie bleibt in der Diele stehen. Auf den Steinplatten des Fußbodens liegen mehrere fadenscheinige Läufer. Eine große, breite Treppe schwingt sich in den ersten Stock empor. An den Wänden hängen fleckige alte Jagdstiche und abstrakte Kohleskizzen wild durcheinander. Ein Kleiderständer biegt sich unter mottenzerf ressenen Jacken und mehreren unbespannten Regenschirmen. In einem Korbsessel türmt sich schmutziges Geschirr. Die Diele hat eine Gewölbedecke. Theo legt den Kopf in den Nacken und ruft: »Echo! Echo!« Als der Widerhall leise und verzerrt zurückkommt, müssen Lexie und er lachen.
Der Lärm lockt eine Frau mit Schürze herbei, die missbilligend die Stirn runzelt. Während sie durch eine Tür vorausgeht, schimpft sie vor sich hin, dass hier aber auch kein Mensch einen Finger krumm macht, außer ihr. Durch einen düsteren Korridor geht es bis zu einer schmalen Treppe im hinteren Teil des Hauses. Oben angekommen, stößt sie die Tür zu einem weiß getünchten Raum mit Dachschrägen und einem ungewöhnlich hohen Bett auf und winkt sie hinein. Lexie erkundigt sich nach dem Namen des Mannes, der das Auto gefahren hat, und bekommt zur Antwort: »Mr. Lowe.«
Lexie überlegt kurz. »Robert Lowe?«
Die Haushälterin zuckt mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen?«
Als Lexie wissen möchte, wie lange sie schon hier arbeitet, verdreht die Haushälterin die Augen und sagt: »Zu lange.« Lexie lacht. Der Bann ist gebrochen. Plötzlich macht es der Frau nichts aus, sich mit Theo zu beschäftigen, während
Lexie auspackt. Robert Lowe arbeite den ganzen Tag, erzählt sie, während sie mit Theo »Backe, backe Kuchen« spielt. Sein Zimmer sei ein Schweinestall, überall Berge von Notizen, Papier und Büchern. Ein Saustall. Er rede nicht viel, aber seine Frau schicke ihm jede Woche ein Telegramm. Was das kosten müsse! Mr. Lowe schreibe ihr jeden Tag. Er gehe zu Fuß ins Dorf, um die Briefe aufzugeben. Seine Frau sei Invalidin. Das letzte Wort flüstert die Haushälterin. Sie sitze im Rollstuhl, das arme Geschöpf.
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