Die Hand die damals meine hielt - Roman
Redaktionsschluss. Sobald Theo eingeschlafen ist, muss ich arbeiten.«
»Ach.«
»Du kannst natürlich kommen und ihm das Abendessen machen. Dann könnte ich früher anfangen.«
Eine kurze Pause. »Hm«, macht Felix. »Das wäre natürlich auch eine Möglichkeit. Das Problem ist bloß …«
»Schwamm drüber«, unterbricht Lexie ihn ungeduldig. »Warum ich dich anrufe … Du musst mir einen Gefallen tun.«
»Du brauchst es nur zu sagen.«
»Die Zeitung möchte, dass ich nach Irland fahre, um Eugene Fitzgerald zu interviewen.«
»Wen?«
»Bildhauer. Größter lebender. Es kommt so gut wie nie vor, dass er sich zu einem Interview bereit erklärt, und …«
»Verstehe.«
»Deshalb …« Lexie lässt sich nicht aus dem Konzept bringen. Sie muss ihre Bitte schnell vortragen, sonst kriegt sie sie gar nicht über die Lippen. »… muss ich natürlich fahren. Und deshalb wollte ich f ragen, ob du nicht auf Theo aufpassen kannst, solange ich weg bin.«
Wieder eine Pause. Sie dauert eine Schrecksekunde. »Theo?«, fragt Felix.
»Unser Sohn«, erläutert sie.
»Ja, aber … Es ist nämlich so … Kann das denn nicht deine Italienerin machen?«
»Mrs. Gallo? Sie hat keine Zeit. Ich hab sie schon gefragt. Sie bekommt Besuch aus Italien.«
»Verstehe. Also, ich würde es wahnsinnig gern machen. Ist doch klar. Bloß …«
»Okay«, knurrt Lexie. »Vergiss es. Mir war sowieso nicht wohl bei dem Gedanken, dich zu fragen. Aber wenn du es nicht mal in Erwägung ziehen kannst, dich drei Tage um ihn zu kümmern, dann vergiss es einfach.«
Felix seufzt. »Hab ich das etwa gesagt? Hab ich nein gesagt?«
»Das war gar nicht nötig.«
»Drei Tage, sagst du?«
»Ich sage, vergiss es. Ich hab’s mir anders überlegt. Ich finde schon jemanden.«
»Aber natürlich nehme ich ihn dir ab, Liebling. Sehr gern sogar.«
Diesmal schweigt Lexie, um herauszuspüren, ob er sich ein Hintertürchen offenhält, ob er lügt.
»Meine Mutter würde sofort kommen«, fährt er fort. »Sie wäre begeistert. Du weißt doch, wie sie den Jungen vergöttert.«
Lexie überlegt. Zur allgemeinen Überraschung hat Felix’ Mutter ihren anfänglichen Schock darüber, dass ihr Sohn und Lexie unverheiratet geblieben sind, überwunden und sich als liebevolle Großmutter entpuppt, die, wenn Lexie einen dringenden Termin hat, mir nichts, dir nichts ihren Frauenverein in Suffolk im Stich lässt, um nach London zu kommen und auf Theo aufzupassen. Und wenn Lexie ehrlich ist, ist das genau der Vorschlag, auf den sie gehofft hat. Niemals würde sie Theo allein Felix’Obhut anvertrauen. Seiner Mutter Geraldine dagegen schon. In ihren lehmigen Gummistiefeln und den seidenen Kopftüchern strahlt sie etwas ungeheuer Beruhigendes und zutiefst Verlässliches aus. Und Theo ist ganz vernarrt in sie. Aber Lexie ist immer noch verärgert, dass Felix im ersten Moment so zögerlich reagiert hat. »Ich denk darüber nach«, sagt sie zähneknirschend.
»Wie du meinst.« Sie hört ihm seine Belustigung an. »Dann rede ich mal mit meiner Mutter, ja? Frag sie, ob sie kommen würde?«
»Wenn du möchtest«, sagt Lexie und legt auf.
Doch Geraldine Roffe ist bereits anderweitig gebunden. Es tue ihr sehr leid, aber sie habe in ihrer Kirchengemeinde eine Verpflichtung übernommen, der sie sich nicht entziehen könne. Es hat irgendetwas damit zu tun, dass die Altardecken gewaschen werden müssen - so ganz versteht Lexie den Sachverhalt auch nicht. Ihr bleibt jedenfalls nichts anderes übrig, als Theo mitzunehmen. Es ist Anfang Februar. In England herrscht nebliges Winterwetter; auf den Bürgersteigen türmt sich der schmutzige Schnee zu Bergen. Lexie fährt mit dem Zug nach Holyhead und steigt in die
Nachtfähre nach Cork um. Während das Schiff durch die stahlgrauen Wellen der Irischen See stampft, klammert sie sich an die Reling, zieht Theo die Strickmütze tief über die Ohren, packt ihn warm in eine Decke ein. Bei Nieselregen läuft die Fähre in der blauen Morgendämmerung in Cork ein. Lexie wickelt Theo auf dem Fußboden der Hafentoilette. Er schreit und strampelt ob dieser unwürdigen Behandlung, und bald sind sie von neugierigen Frauen umringt. Sie fährt mit dem Zug an die zerklüftete Küste. Theo presst das Gesicht an die Scheibe und gibt staunend eine Reihe von Substantiven von sich: Pferd, Tor, Trecker, Baum. Als sie gegen Mittag die Halbinsel Dingle erreichen, ist sein Wortschatz erschöpft. Meer, sagt Lexie zu ihm, Strand, Sand.
Der Zug wird langsamer, ein
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