Die Hand die damals meine hielt - Roman
grünes Schild mit der Aufschrift SKIBBERLOUGH huscht vorbei. Lexie springt auf, setzt Theo in die Trage, schlingt ihn sich auf den Rücken und hebt ihren Koffer aus der Gepäckablage. SKIBBERLOUGH - SKIBBERLOUGH - SKIBBERLOUGH - läuft der Name im Fenster vorbei, SKIBB- Nachdem sie die Tür aufgedrückt hat, stockt sie erst einmal: Es gibt keinen Bahnsteig, nur einen schlammigen Trampelpfad neben den Gleisen, zu dem es tief hinuntergeht. Lexie streckt den Kopf durch die Tür, sieht nach links, sieht nach rechts. Der Bahnhof, wenn man ihn denn so nennen kann, ist menschenleer. Es gibt ein kleines Wartehäuschen aus Holz, das grüne Schild und ein Gleis - sonst nichts.
Sie wirft den Koffer aus dem Zug, der mit einem Plumps mit Matsch landet, und klettert hinterher. Unter Klappern und Ächzen setzt sich der Zug wieder in Bewegung. Theo juchzt und staunt über den Anblick, den Lärm. Lexie hievt den Koffer hoch, und als sie an dem Wartehäuschen ankommt, tritt dahinter ein Mann hervor.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagt Lexie. »Vielleicht können Sie mir helfen.«
»Miss Sinclair vom Daily Courier , wenn ich mich nicht irre?«, sagt der Mann. Er spricht ein gestochenes Englisch. Fitzgerald wäre er demnach also schon einmal nicht. Er hat ein ernstes Gesicht und sieht ein wenig unordentlich aus: der Kragen schief, die Jacke offen. Er ist erkennbar schockiert über ihren Anblick - die dreckigen Schuhe, das Kind auf dem Rücken, die zerzauste Frisur -, enthält sich aber jeden Kommentars. Wozu Lexie ihm insgeheim gratuliert. »Hier entlang.« Er will ihr den Koffer abnehmen, schließt die Finger um den Griff.
Lexie hält ihn fest. »Das kann ich schon«, sagt sie. »Danke.«
Achselzuckend lässt er los.
Am Straßenrand steht ein Pritschenwagen, der unter all dem Dreck und Rost vermutlich einmal rot gewesen ist. Der Mann setzt sich hinters Steuer und lässt den Motor an, während Lexie versucht, auf der Ladefläche zwischen Hundekörben und Maschendrahtrollen einen Platz für ihren Koffer zu finden.
Nachdem sie losgefahren sind - Lexie auf dem Beifahrersitz mit Theo auf dem Schoß -, betrachtet sie sich ihren Chauffeur ein wenig genauer. Ihr entgeht nichts: nicht die zusammengeklappte Brille, die in der Brusttasche seiner Tweedjacke steckt, nicht der blaue Tintenfleck an seinem rechten Zeigefinger, nicht das Buch, das zwischen den Sitzen klemmt, daneben eine wochenalte englische Zeitung - nicht ihr Courier , sondern sein schärfster Rivale -, nicht das nach hinten gekämmte, an den Schläfen leicht ergraute Haar.
»So«, sagt sie. »Dann arbeiten Sie also für Fitzgerald?«
Er runzelt die Stirn. Sie hat es nicht anders erwartet. »Nein.«
Die nächsten Minuten auf der engen Landstraße legen sie schweigend zurück.
»Brrm, brrm«, macht Theo.
Lexie lächelt ihn an.Draußen gleitet eine Kirche mit einem Gebetsstock am Straßenrand vorbei. Aus dem Tor kommt eine Frau heraus. »Also sind Sie ein Freund von ihm?«
Diesmal legt er nicht die Stirn in Falten, sondern brummt nur: »Nein.«
»Ein Nachbar?«
»Nein.«
»Ein Verwandter?«
»Nein.«
»Sein Diener?«
»Nein.«
»Sein Galerist? Sein Arzt? Sein Priester?«
»Weder noch.«
»Beantworten Sie alle Fragen so einsilbig?«
Der Mann wirft einen Blick in den Rückspiegel, nimmt eine Hand vom Steuer und kratzt sich das Kinn. Die Straße fliegt an ihnen vorbei. Weißdorne mit krummen, schwarzen Ästen, ein angepflockter Esel. »Genau genommen, waren das gar keine Fragen.«
»Doch.«
»Nein.« Der Mann schüttelt den Kopf. »Es waren Behauptungen. Sie sagten: ›Sie arbeiten für Fitzgerald. Sie sind ein Verwandter.‹ Ich habe lediglich Ihre Aussagen widerlegt.«
Lexie mustert diesen Eindringling in ihr Spezialgebiet. »Man kann Fragen auch in Form von Behauptungen fassen.«
»Nein.«
»Grammatisch gesehen schon.«
»Nein. Vor Gericht würden Sie damit nicht durchkommen.«
»Wir sind aber nicht vor Gericht«, sagt Lexie. »Wir sind, wenn ich mich nicht täusche, in Ihrem Auto.«
»Auto!«, tönt Theo.
»Es ist nicht mein Auto«, sagt der Mann. »Es ist Fitzgeralds Auto. Eines seiner Autos.«
»Also, was sind Sie dann? Anwalt?«
Er scheint einen Augenblick darüber nachdenken zu müssen. Dann sagt er: »Nein.«
»Jurist?«, rät sie.
Er schüttelt den Kopf.
»Richter?«
»Wieder falsch.«
»Spion? Geheimagent?«
Da lacht er zum ersten Mal, ein erstaunlich nettes Lachen, tief und klangvoll. Als Theo es hört, fängt er ebenfalls an zu
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