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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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schweren Sachen. Wenn sie ihr hinfallen, gehen sie kaputt. Sie darf sie nicht fallen lassen.

    Ein Geräusch unterbricht sie. Jemand hat »Au« gesagt. Eine Stimme, die sie kennt. Teds Stimme. Elina macht die Augen auf. Der Wecker, die Schneelandschaft, das Glas, der Steinfußboden lösen sich auf. Sie liegt eingequetscht zwischen Ted und dem Sofaende, den Kopf auf Teds Schoß.
    »Warum hast du au gesagt?«, fragt sie zu seinem Unterkiefer hinauf. Er sieht fern, Fußball, so wie es sich anhört - ein sonderbares Dröhnen und Murmeln, unterbrochen von Tuten. Er müsste sich mal wieder rasieren. Schwarze Stoppeln bedecken sein Kinn, seine Kehle. Sie legt einen Finger darauf, streicht einmal hin, einmal her.
    »Du hast mich gehauen«, sagt er, ohne den Bildschirm aus den Augen zu lassen.
    »Wirklich?« Elina setzt sich auf.
    »Du hast geschlafen, und dann hast du auf einmal um dich geschlagen und …« Plötzlich schwappt eine Lärmwelle aus dem Fernseher heraus, ein tosendes Brausen, ein tutendes Crescendo, worauf Ted sofort mit einem leidenschaftlichen, verstümmelten Redeschwall reagiert. Elina kann keine einzelnen Wörter unterscheiden, nur JA und GOTT und ein paar Flüche.
    Während er gestikuliert und schimpft, dringt ein anderes Geräusch an ihr Ohr. Ein kaum hörbares Fiepen, wie von einem Vogel oder einem Kätzchen. Elinas Kopf fährt herum. Das Kind. Es fiept noch einmal. Ein ganz leiser »iiep«-Laut.
    »Nicht, Ted«, sagt sie. »Du weckst das Baby.«
    Der Fernseher dröhnt weiter, aber Ted senkt die Stimme: So was sei doch einfach nicht zu fassen. Sie lauscht angespannt, doch aus dem Moseskörbchen kommt kein Ton mehr. Ein Arm reckt sich heraus und schwenkt langsam durch die Luft, wie bei einer T’ai-Chi-Übung. Dann nichts
mehr. »Wie heißen noch mal diese Dinger mit künstlichem Schnee und Wasser drin?«, fragt sie.
    Ted beugt sich angespannt vor. »Hmm?«
    »Diese Kinderspielzeuge. Wenn man sie schüttelt, wirbelt der Schnee herum.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du …« Auf dem Bildschirm tut sich etwas. Mit einem halblauten »Nein!« wirft Ted sich, wie von tiefster Trauer übermannt, nach hinten in die Polster.
    Elina nimmt etwas vom Sofa, ein Malermesser mit einer elastischen weichen Klinge, das neben ihr liegt. Sie biegt die Klinge mit den Fingern hin und her. Sie hält sich das Messer dicht vors Gesicht, untersucht es wie ein Archäologe einen Fund aus einem anderen Zeitalter. Eine Farbkruste an der Stelle, wo die Klinge in den Griff übergeht - Rot, Grün, ein Spritzer Gelb -, ein hauchfeiner Riss im perlmuttfarbenen Plastikgriff, ein Hauch von Rost an der oberen Kante. Eigentlich ist Messer das falsche Wort dafür, denkt sie. Man könnte damit nichts schneiden. Es würde sich nicht eignen zum Schnitzen, Stechen, Schnippeln oder Schlitzen oder was man sonst mit einem Messer alles anfangen kann, weil ein echtes Messer …
    »Was machst du da?«
    Elina dreht sich um. Zu ihrer Überraschung sieht Ted sie tatsächlich an.
    »Nichts.« Sie lässt das Malermesser in ihren Schoß sinken.
    »Was ist das?«, fragt er, und er klingt so, als ob er fast mit der Antwort Bloß eine Handgranate, Schatz rechnet.
    »Nichts«, wiederholt sie. Dabei fällt ihr auf einmal wieder ein, wie das Malermesser hier aufs Sofa kommt und warum es nicht in ihrem Studio liegt. Sie hat es im Wohnzimmer
benutzt, um auf dem Couchtisch Gips anzurühren, was sie normalerweise niemals machen würde. Das Haus ist zum Wohnen da, das Studio zum Arbeiten. Aber es ist so ein warmer Tag gewesen und der kurze Weg bis zum Ende des Gartens so unendlich weit.
    Unterdessen sieht Ted sie immer noch an, diesmal mit nahezu entsetzter Miene.
    »Was ist?«, fragt sie.
    Er antwortet nicht, sitzt nur da, wie in Trance verfallen, voller Scheu, nervös und fasziniert zugleich.
    »Warum siehst du mich so an?« Er starrt auf ihren Hals. Sie legt eine Hand auf die Stelle, spürt den pochenden Puls.
    »Hä?«, sagt er, wie aus weiter Ferne zurückgekehrt. »Wie bitte?«
    »Ich hab dich gefragt, warum du mich so ansiehst.«
    Er wendet den Blick ab, macht sich an der Fernbedienung zu schaffen. »Entschuldige«, murmelt er. Doch dann geht er zum Gegenangriff über: »Wie hab ich dich denn angesehen?«
    »Als ob ich ein Monster wäre.«
    »Sei nicht albern«, sagt er verlegen. »Wie kommst du denn darauf? Du bist doch kein Monster.«
    Elina stemmt sich mühsam vom Sofa hoch. Sie kann den Fußballlärm nicht mehr ertragen. Das Aufstehen fällt ihr unendlich

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