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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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bewegen, selbst wenn sie gewollt hätte, aber sie wollte es auch nicht. Auf der anderen Seite des Sichtschutzes ein Geräusch wie von einem Staubsauger, doch sie machte sich keine Gedanken darüber, dachte nur, ein Junge, und lauschte auf die andere Seite des Raums hinüber, wo zwei Schwestern mit dem Kind beschäftigt waren und Ted ihnen über die Schultern sah. Aber dann passierte etwas, etwas ging schief. Was war es? Es fiel Elina schwer, ihre Gedanken zu ordnen. Die Ärztin, die Assistenzärztin, die Frau, sagte, oh . In demselben Ton, den man anschlagen würde, wenn sich jemand in einer Warteschlange brutal vordrängelt: enttäuscht, bestürzt. Gleich darauf musste Elina explosionsartig husten.
    Stimmte das so? Oder war es andersherum gewesen? Hatte sie gehustet und die Ärztin danach erst oh gesagt?
    So oder so, als Nächstes kam auf jeden Fall das Blut. So viel Blut. Unerklärliche Mengen. Überall. Auf den Ärzten,
dem Sichtschutz, den Schwestern. Elina sah, wie es auf den Boden floss, sich fächerartig auf den Fliesen ausbreitete und in den Fugen Rinnsale und Bäche bildete, wie es mit den Schuhen um den Tisch getragen wurde, wie sich ein an der Wand hängender Plastikbeutel mit rot durchtränkten Tüchern füllte.
    Ihr Herz reagierte fast augenblicklich, es begann, so schnell und panisch zu schlagen, als ob es darauf aufmerksam machen wollte, dass es ein Problem gab und dass es Hilfe gebrauchen könnte. Es hätte keine Angst haben müssen. Plötzlich wimmelte der Raum nur so von Menschen. Die Assistenzärztin rief Hilfe herbei, der Anästhesist stand auf, warf einen ernsten Blick über den Sichtschutz und drehte die durchsichtige Maske um, die über Elinas Kopf hing. Im nächsten Moment machte sich in ihren Adern bereits die Wirkung bemerkbar. Es war ein Gefühl, als ob sie in Ohnmacht fiele; ihr wurde schwarz vor den Augen, die Zimmerdecke glitt wie ein Fließband über sie hinweg, und ihr kam der Gedanke, dass es vielleicht gar nicht an dem Medikament lag, sondern an etwas anderem. Sie durfte unter gar keinen Umständen das Bewusstsein verlieren, sie musste dableiben, musste hier ausharren. Wenn doch nur jemand kommen und mit ihr reden und ihr erklären würde, was los war, warum sie die Hände anderer Menschen tief unter ihrer Haut fühlen konnte, oben, bei den Rippen, warum jemand schrie, schnell jetzt, schnell , und wo das Kind war und wo Ted war, und warum die Assistenzärztin sagte, nein, ich kann nicht, ich weiß nicht, wie, und warum der andere Arzt sie daraufhin anraunzte, und warum Elina von irgendwem oder irgendwas auf dem Tisch nach oben geschoben wurde, so dass sie Angst hatte, ihr Kopf würde gleich nach hinten über den Rand fallen.

    Während sich die Kante des Tischs in ihren Schädel drückte, während die Assistenzärztin um Hilfe rief, wäre sie fast wieder weggesackt, als ob sie in einem Zug säße, der plötzlich auf ein anderes Gleis geschwenkt war. Am liebsten hätte sie sich einfach fallen lassen und sich nicht länger gegen die Kraft gestemmt, die sie nach unten zog. Aber sie wusste, dass sie das nicht durfte. Also kniff sie die Augen zusammen und riss sie wieder auf, trieb einen Fingernagel der einen Hand in eine Fingerkuppe der anderen. Helfen Sie mir , sagte sie zu dem Anästhesisten, weil er ihr am nächsten war. Bitte . Doch es kam nur ein Flüstern dabei heraus, und er sprach sowieso mit einem neuen Mann, der über ihr aufgetaucht war und kleine, durchsichtige Beutel mitgebracht hatte, die mit einer unglaublich roten Flüssigkeit gefüllt waren.
    Sie wendet sich vom Spiegel ab. Unten fängt der Lärm wieder an. Hä-nggg, hä-nggg . Elina geht die Treppe hinunter, sie hält sich am Geländer fest, sie geht durch die Diele, wo das Geräusch zum AhHggg, AhHggg angeschwollen ist, und tritt aus der Haustür.
    Draußen hat sie das merkwürdige Gefühl, zwei Frauen gleichzeitig zu sein. Die eine steht auf der Schwelle und fühlt sich federleicht, als ob sie, in Schlafanzug und Sweatshirt, gleich abhebt und in den Himmel hinaufschwebt, um in den Wolken und jenseits von ihnen zu verschwinden. Die andere steht ruhig dabei und beobachtet sie, und sie denkt, so ist das also, wenn man verrückt ist. Sie geht durch den Vorgarten, öffnet das Tor und betritt barfuß den Bürgersteig. Sie geht, sie haut ab, sie macht sich davon. Du haust ab, bemerkt die ruhige Elina. So, so. Die Lunge der anderen Elina füllt sich mit Luft, und wie als Reaktion darauf beschleunigt sich ihr Herzschlag zu

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