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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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geöffneten Augen an.
    »Das hat mir meine Mutter immer vorgesungen«, sagt Ted, »als ich noch klein war. Sie kennt bestimmt die anderen
Strophen. Wenn ich sie das nächste Mal sehe, frage ich sie.«
    Elina nickt und streicht dem Kind über die Wange. Ted beugt sich darüber.

    Ted denkt über seinen Elternurlaub nach. Er spukt ihm im Kopf herum, seit er mit der Einkaufsliste aus dem Haus gegangen ist. Alles Sachen, die Elina für den Kleinen braucht. Beziehungsweise, die sie für ihn brauchen. Feuchttücher, Watte, Wundschutzcreme - die Liste hört und hört nicht auf. Wer hätte gedacht, dass so ein kleiner Mensch so viele und so große Bedürfnisse haben könnte?
    Seine Rolle als frischgebackener Vater in den zwei Wochen Elternurlaub kommt ihm vor wie die eines Runners auf einem Filmset. Das Baby ist der Star, keine Frage. Jede seiner Launen und jeder seiner Wünsche ist Befehl, seine Zeiten sind Gesetz. Elina ist die Regisseurin, die für den Ablauf verantwortlich ist und versuchen muss, den Laden in Schwung zu halten. Und er, Ted, ist der Runner. Der Handlanger und Laufbursche, der die Regisseurin unterstützt, Pfützen aufwischt, den Tee macht.
    Ted gefällt der Vergleich nicht schlecht. Schmunzelnd geht er den Bürgersteig entlang, von einem Platanenschatten zum nächsten. Er schlenkert die Einkaufstüten, dem einen oder anderen Hundehaufen ausweichend.
    Im Vorgarten kramt er seinen Schlüssel heraus. Er schließt die Tür auf, streift die Schuhe auf der Fußmatte ab und ruft: »Hi, ich wieder da. Ich hab’ alles bekommen. Nur die biologisch abbaubaren Feuchttücher nicht. Die waren aus. Also hab ich die normalen genommen. Ich weiß, dass du sie nicht magst, aber ich dachte mir, immer noch besser als gar keine.
« Er wartet auf eine Antwort, doch im Haus bleibt es still. »Elina?«, ruft er, aber nur einmal. Vielleicht schläft sie ja. Er bringt die Einkaufstüten in die Küche und stellt sie auf die Arbeitsplatte. Das Wohnzimmer ist verlassen, auf dem Sofa liegt niemand. Der Kinderwagen steht in der Diele, leer, die Decken zerwühlt, als ob das Kind gerade erst herausgehoben worden ist. Ted legt die Hand auf die Stelle, wo immer das Köpfchen liegt, und bildet sich fast ein, dass sie sich noch ein bisschen warm anfühlt.
    Ein Geräusch im ersten Stock - ein Fallen, ein Schritt, ein Klicken. Er hebt den Kopf. »Elina?«, sagt er noch einmal. Wieder bekommt er keine Antwort.
    Er geht die Treppe hinauf, erst langsam, dann zwei Stufen zugleich nehmend. »El«, sagt er, als er oben ist. »Wo bist du?« Irgendwo muss sie doch stecken, sie kann unmöglich weggegangen sein.
    Aber auch das Schlafzimmer ist leer, die Decke straff gezogen, die Kleiderschränke geschlossen. Der blanke Spiegel über dem Kaminsims flimmert silbern. Im Badezimmer steht das Fenster offen, die Gardine weht wie ein Rauchschwaden herein.
    Er bleibt einen Augenblick lang rätselnd auf dem Treppenabsatz stehen. Wo kann sie sein? Er sieht noch einmal im Schlafzimmer nach, im Wohnzimmer, in der Küche, um sich zu überzeugen, dass sie nicht doch irgendwo eingeschlafen ist. Zuletzt wirft er sogar einen Blick hinter das Bett, nur um ganz sicher zu sein. Die Frage, warum er »ganz sicher« sein will, beantwortet er sich lieber nicht. Aber dort ist sie auch nicht. Sie ist verschwunden - genau wie das Kind.
    In der Diele fummelt er sein Handy aus der Gesäßtasche. Während er darauf herumdrückt und zu ihrer Nummer herunterscrollt, fällt sein Blick wieder auf den Kinderwagen.
Wohin könnte sie gegangen sein mit dem Kind, aber ohne den Wagen? Bevor er das Handy ans Ohr nimmt, räuspert er sich. Er muss aufpassen, dass er sich locker anhört, entspannt. Seine Stimme darf nicht panisch klingen. Er darf sich nicht anmerken lassen, was für eine Angst er hat.
    Er hört ein Knacken, dann das blecherne Klingeln. Und sofort antwortet ganz in der Nähe ein Echo. Ted nimmt das Handy herunter und lauscht. Im Wohnzimmer klingelt ein Telefon, das gar nicht wieder aufhören will. Ted schaltet sein Handy aus, und Elinas Handy verstummt. Er lässt sich auf die Treppe sinken und sitzt da, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, die Hände in seine Haare gekrallt. Wo kann sie sein? Was soll er machen? Die Polizei anrufen? Aber was würde er sagen? Er zwingt sich zur Ruhe, er darf sich nicht aufregen, nicht in Panik geraten, er muss nachdenken. Die ganze Zeit schreit es jedoch in ihm, sie ist weg, sie hat das Kind mitgenommen, sie ist verschwunden, und sie ist so

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