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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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durch die Gegend schleppt.
    An der nächsten Ecke bleibt er stehen. Er sieht die Straße hinauf, sieht sie hinunter. Der Stadtplan baumelt in seiner Hand. Elina wartet. Sie atmet tief ein, und die Luft brennt ihr heiß in der Kehle. Sie wird nicht ohnmächtig werden. Alles ist bestens. Nichts, was sich nicht bewegen sollte, bewegt sich; die Sterne auf der Kinderdecke sind nur Stickereien, sonst nichts. Der Kleine schläft, er zieht eine Schnute. Ein Händchen liegt halb geschlossen an seiner Wange, als ob er sich einen unsichtbaren Telefonhörer ans Ohr hält. Darüber muss Elina lächeln. Plötzlich merkt sie, dass Ted etwas sagt.
    »… irgendwo anders …«
    »Wie bitte?«
    Er antwortet nicht. Der Brief rutscht aus dem Stadtplan und fällt auf den Bürgersteig. Ted bückt sich nicht danach, sondern steht einfach nur da, den Rücken zu ihr und mit schlaff herunterhängenden Händen.
    Elina runzelt die Stirn. Sie kauert sich hin und fischt nach
dem Brief, das schlafende Kind gut festhaltend. »Ted?«, sagt sie. Sie tippt ihm auf den Arm. »Ted, wir müssen weiter. Der Termin ist schon in zwei Minuten.« Sie nimmt ihm den Stadtplan ab. Sie sieht auf den Brief, sieht auf den Plan. »Noch ein Stück hier entlang und dann links.«
    Er dreht sich in die falsche Richtung und scheint wie gebannt von einem Gartenzaun auf der anderen Straßenseite.
    »Ted!«, sagt sie, eine Spur schärfer. »Wir haben noch genau zwei Minuten bis zu unserem Termin.«
    »Geh du allein«, antwortet er, ohne sich umzudrehen.
    »Wie bitte?«
    »Geh allein. Ich warte hier.«
    »Du … Du schickst mich allein zur Vorsorgeuntersuchung deines …« Elina ist so wütend, dass sie den Satz nicht zu Ende bringen kann. Sie hält es keine Minute mehr mit ihm aus. Sie rückt sich den Riemen ihrer Schultertasche zurecht, macht kehrt und stapft davon, das Kind an sich gedrückt. Sie hat das Gefühl, als ob ihr ihre roten Sandalen die Füße verbrennen. Der Bund ihrer Jeans hat sich mit Schweiß vollgesogen.
    »›Ich warte hier‹«, schimpft sie leise vor sich hin, als sie durch die Drehtür geht. »›Ich warte hier‹, toll. Dieser egoistische Mistkerl …« Sie bricht ab, weil sie am Empfang ihren Namen sagen muss. In dem Gebäude ist es kühl, und es riecht nach Linoleum. Elina hat sich immer noch nicht wieder beruhigt, als sie auf einem Plastikstuhl Platz nimmt. Fast rechnet sie damit, dass Ted doch noch kommt. Während sie sich die Poster ansieht - Stillen, Rauchen, Meningitis, Impfungen -, studiert sie im Geist eine Lektion zum Thema elterliche Fürsorgepflicht ein, die Ted zu hören bekommen soll, falls er sich doch noch herbequemt. Ihr ist gerade der Ausdruck »aus der Verantwortung stehlen« eingefallen, als sie hereingerufen wird.

    »Name?«, sagt die Schwester und beugt sich zum Monitor.
    »Äh.« Elina spielt nervös mit ihrem Armreif. »Wir haben uns noch nicht entschieden. Das ist lächerlich, ich weiß.« Sie hört sich verkrampft lachen. »Schließlich ist er schon fast sechs Wochen alt, aber …«
    »Ich meinte Ihren Namen«, sagt die Schwester.
    »Ach so.« Wieder das seltsame, schrille Lachen. Was ist bloß mit ihr los? »Ich …« Und da passiert etwas, was Elina seit ihrer Jugend nicht mehr erlebt hat. Sie fängt an zu stottern. Wörter, die mit i anfangen, bekam sie einfach nicht heraus. Es war, als ob sie an ihren Rachenmandeln hängen blieben. Sie schluckt ein paarmal, sie räuspert sich und bringt den Satz zu Ende. »Ich heiße Elina Vilkuna.«
    »Sind Sie Schwedin?«
    »Finnin.« Gott sei Dank, ihre Stimme klingt normal. Vielleicht hat sich das Stottern wieder dahin verkrochen, wo es sich all die Jahre versteckt gehalten hat. »Aber meine Mutter ist Schwedin«, fügt sie überflüssigerweise hinzu.
    »Ach. Würden Sie mir sagen, wie man das schreibt?«
    Elina buchstabiert ihren Namen; zweimal muss sie darauf hinweisen, dass Vilkuna mit k und nicht mit c geschrieben wird.
    »Sie beherrschen unsere Sprache aber ausgezeichnet«, sagt die Schwester, als sie ihr das Kind abnimmt.
    Sie streckt seine Ärmchen und Beinchen und streicht ihm über das Köpfchen. »Ich lebe schon ziemlich lange hier, und …«
    »In London?«
    »Hauptsächlich.« Elina hat keine Lust, sich näher darüber auszulassen. »Aber nicht nur«, ergänzt sie vage. »Ich bin ziemlich viel rumgekommen.«

    »Ich konnte Ihren Akzent nicht gleich einordnen. Anfangs dachte ich, Sie wären vielleicht Australierin.« Die Schwester nimmt dem Kind das Ding aus dem Ohr.

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