Die Hand die damals meine hielt - Roman
schwach, sie kommt noch nicht mal bis zur nächsten …
Ein ohrenbetäubendes Schrillen lässt ihn von der Treppe aufspringen. Im ersten Augenblick hat er keine Ahnung, was es ist oder woher es kommt. Dann weiß er es; es war die Türklingel, die direkt über ihm hängt. Elina! Sie ist wieder da. Mit einem Seufzer der Erleichterung reißt er die Tür auf und sagt: »Mensch, was hast du mir für einen Schrecken eingejagt. Ich war …«
Er bricht ab. Auf der Schwelle steht seine Mutter.
»Liebling«, sagt sie. »Ich war gerade zufällig in der Gegend. Ich habe mich mit Joan getroffen - du erinnerst dich doch an Joan von gegenüber, die den Cockerspaniel hat. Wir waren in South End Green einen Kaffee trinken. Da hat ein wunderhübsches neues Café aufgemacht, kennst du es schon?« Sie segelt durch die Tür, presst ihre Wange auf seine,
hält ihn an den Schultern fest. »Jedenfalls konnte ich einfach nicht an eurem Haus vorbeifahren, ohne kurz reinzuschauen und ein bisschen mit meinem Enkel zu schmusen. Und da bin ich!« Sie wirft die Arme in die Luft, wie eine Schauspielerin bei einem großen Bühnenauftritt.
»Ach«, sagt Ted. Er fährt sich durchs Haar. »Ich komme auch gerade erst rein«, murmelt er. »Ich … äh …« Bevor er die Tür schließt, schaut er hinaus, den Bürgersteig entlang, nur um zu sehen, ob sie da ist, ob sie kommt. »Ich weiß nicht genau, wo Elina gerade steckt.«
»Aha.« Seine Mutter nimmt ihr seidenes Halstuch ab, knöpft ihre Jacke auf. »Ist sie auf einen Sprung weggegangen?«
»Schon möglich.« Er lehnt sich mit dem Rücken an die Tür und sieht seine Mutter an. Irgendetwas ist anders an ihr. Er mustert ihre Frisur, ihre Wangen, ihre Nase, die Haut an ihrem Hals, die Hände, mit denen sie die Jacke auf einen Kleiderbügel hängt, die Füße in den hochhackigen Lackschuhen. Er hat das seltsame Gefühl, dass er sie nicht erkennt, dass er nicht weiß, wer sie ist, dass sie eine Fremde ist und nicht der Mensch, mit dem er in seinem Leben mehr Zeit verbracht hat als mit jedem anderen auf der Welt. »Ich … Ich … weiß nicht. Du siehst anders aus«, platzt es aus ihm heraus. »Hast du etwas an dir gemacht?«
Sie dreht sich wieder zu ihm, streicht ihren Rock glatt. »Was denn gemacht?«
»Ich weiß auch nicht. Irgendwas mit deinen Haaren. Hast du eine neue Frisur?«
Sie fasst sich verlegen an ihren platinblonden Helm. »Nein.«
»Eine neue Bluse?«
»Nein.« Sie tippt sich leicht mit dem Finger an die Augenbraue
- eine ungeduldige Geste, die Ted nur zu gut kennt. »Wann erwartest du Elina zurück?«
Er starrt sie immer noch an. Er kann nicht genau sagen, was ihn stört. Das Muttermal an ihrem Hals, die Rundung ihres Kiefers, die Ringe an ihren Fingern: Es ist, als hätte er nichts davon je zuvor gesehen.
»Ich nehme an, sie hat den Kleinen mitgenommen?«, sagt sie.
»Hm.«
»Liebling, könntest du sie vielleicht anrufen und ihr sagen, dass ich hier bin? Ich muss spätestens um sechs wieder zu Hause sein. Dein Vater braucht sein …«
»Sie hat ihr Handy nicht mitgenommen. Es liegt im Wohnzimmer.«
Seine Mutter seufzt gereizt. »Das ist wirklich ein Jammer. Ich hätte so gern …«
»Ich weiß nicht, wo sie ist, Mum.«
Sie mustert ihn scharf. Das Zittern in seiner Stimme ist ihr nicht entgangen. »Was soll das heißen?«
»Dass sie nicht da ist. Und ich nicht weiß, wo sie sein kann.«
»Mit dem Kind?«
»Ja.«
»Sicher geht sie eine Runde mit ihm spazieren. Sie kommt bestimmt bald zurück. Wir trinken ein Tässchen Tee im Garten und …«
»Mum, sie schafft es kaum die Treppe rauf.«
Sie runzelt die Stirn. »Wovon redest du?«
»Seit damals. Seit der Geburt. Du weißt schon. Sie ist sehr … schwach. Sie ist sehr krank. Sie wäre fast gestorben, Mum. Das weißt du doch noch? Und ich komme vom Einkaufen, und sie ist nicht da, und ich weiß nicht, wo sie hin ist
oder wie sie überhaupt dahin kommen konnte, weil …« Ted bricht ab. »Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
Sie geht ins Wohnzimmer, kommt wieder heraus, geht in die Küche. »Ist sie ganz bestimmt nicht hier?«
Ted verdreht die Augen. »Nein.«
Sie setzt Teewasser auf.
»Mum, was machst du da?«, fragt er entsetzt. »Wie kannst du jetzt ans Teekochen denken, wo …« Er verstummt, denn plötzlich sieht er, dass der Schlüssel der Hintertür im Schloss steckt. Er hängt nicht am Haken. Er steckt im Schloss. Ted stößt die Tür auf, und der Geruch des Gartens schlägt ihm entgegen. Von der Holzveranda
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