Die Hand die damals meine hielt - Roman
begann er noch einmal. »Dom? Dov’ e Dom?«
Lexie drückte ihre Zigarette auf der Balustrade aus. Sie spielte mit dem Gedanken, ihm den Weg auf Italienisch zu erklären, befürchtete aber fast, dass ihre eigenen Sprachkenntnisse dafür nicht ausreichten. »Erstens heißt es duomo «, rief sie hinunter. » Il duomo . Und zweitens müssen Sie dort entlang. Hätten Sie mal lieber Ihre Hausaufgaben gemacht, bevor Sie sich hierhergewagt haben.«
»Mein Gott«, hörte sie ihn zu seinem Kameramann sagen. »Sie ist Engländerin.«
In der Piccadilly sieht Felix sie mit seinem typischen Lächeln an: selbstsicher, vertraulich, lüstern. »Wie viel Zeit hast du noch?«, will er wissen.
Er liegt ihr schon den ganzen Vormittag mit seiner Idee in den Ohren - dass sie mit nach Paris kommen soll, dass sie mit nach Paris kommen muss, dass sie mit ihm im St. Jacques wohnen könnte, dass sie sich vom Courier nicht in irgendeinem Rattenloch unterbringen lassen darf, dass er sie in den Club der Auslandskorrespondenten mitnehmen will,
um sie mit wichtigen Leuten bekannt zu machen. So ging es in einer Tour, und nicht einmal durch den Verzehr eines Hummers ließ er sich aufhalten. Nur einmal kam er kurz auf ein anderes Thema zu sprechen, auf Saigon, von wo er erst vor wenigen Tagen zurückgekommen ist: die Granaten, die Explosionen, die Entlaubungsmittel, eine Stadt unter Beschuss, überrollt von Presseleuten, Prostituierten und Soldaten, das Risiko einer Infektion mit Malaria, Denguefieber, einer Amöbenruhr oder Schlimmerem.
Lexie setzt die Sonnenbrille wieder auf, schiebt den Ärmel hoch und sieht auf ihre Uhr. Sie ärgert sich über sich selbst, über das leise Gefühl der Erregung, das sie empfindet. »Gar keine«, gibt sie barsch zurück.
»Sehen wir uns dann wenigstens heute Abend zum Essen? Meine Maschine geht erst um neun.«
Sie tritt an die Bordsteinkante. »Vielleicht«, sagt sie. »Ich geb dir Bescheid.« Im Laufschritt überquert sie die Straße, leicht behindert durch ihre hohen Stiefel. Als sie sich auf der anderen Seite umdreht, um Felix zu winken, ist er verschwunden. Die Menge hat ihn verschluckt.
Sie marschiert los. Selbst durch ihre dunkle Brille sieht die Welt strahlend hell aus. Die Sonne verleiht jedem, der die Piccadilly entlanggeht, eine feurige Corona, als ob alle Menschen Engel wären, als ob dieser sonnige Februarnachmittag in London bereits das Jenseits wäre. In zehn Minuten muss sie in einem Restaurant in der Charlotte Street einen Theaterregisseur interviewen. Sie schlägt ein zügigeres Tempo an: über den Piccadilly Circus, um die Ecke in die Shaftesbury Avenue in Richtung Cambridge Circus, wo sie nach links in die Charing Cross Road abbiegen wird.
Um Soho wird sie einen großen Bogen machen. Sie meidet es bis heute.
Um nicht daran denken zu müssen, denkt sie an die Idee mit der Reise nach Paris und an Felix. Sie weiß nicht, ob sie mitfahren soll. Beim Mittagessen hat Felix gemeint, es wäre auch gut für ihre Karriere. »Die sollen endlich merken, dass du mehr auf dem Kasten hast als bloß nette Artikelchen über Malerei«, sagte er, während er sein Weinglas in den Händen drehte.
Sie knallte ihre Gabel auf den Teller. »Nette Artikelchen über Malerei?«, wiederholte sie aufgebracht. »So siehst du meine Arbeit?« Und dann ging der Streit los. Im Streiten waren sie unschlagbar. Im Streiten waren sie ein klasse Team.
E lina ist gespannt und aufgeregt. Heute scheint alles zu passen. Die Wickeltasche steht gepackt neben der Tür, die Waschmaschine ist ausgeräumt, die Hemdchen und Strampler tanzen auf der Leine, sie hat gefrühstückt, Jonah hat getrunken, die Sonne scheint, und es geht ihr gut. Es ist tatsächlich wahr: Es geht ihr gut. Jonah ist in der Nacht nur zweimal gekommen, und sie hat nicht das Gefühl, jeden Augenblick umzukippen. Sie hat sogar ein wenig Farbe im Gesicht - nur einen Hauch, aber immerhin. Und vorhin erst hat sie festgestellt, dass sie die Treppe bewältigen kann, ohne auf halber Strecke eine Pause einlegen zu müssen. Sie ist wieder gesund! Sie platzt fast vor Freude. Sie hat es sich in den Kopf gesetzt, einen Spaziergang zu machen, zum ersten Mal seit der Geburt bis ganz hinauf auf den Primrose Hill. Sie ist wild entschlossen. Sie wird Jonah in den Kinderwagen legen, und sie werden durch den Park gehen, den steilen Berg hinauf, durch die Allee. Sie sieht es deutlich vor sich: Jonah mit seiner roten Mütze und dem gestreiften Jäckchen, hübsch zugedeckt unter
Weitere Kostenlose Bücher