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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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aus Maschendraht, Steinen und Muscheln, die Elina in der Schule gebastelt hat und die sie heute nicht mehr ansehen kann.
    Das Heimweh rinnt durch Elina hindurch, brennend wie Whisky. Sie möchte, Jonah neben sich, mit dem Rücken an die Buche gelehnt im Gras sitzen und ihrer Mutter beim Bedienen zusehen. Und auf einmal weiß sie nicht mehr, was sie eigentlich ganz allein hier in London will, wo sie doch dort sein könnte. Was sucht sie hier? Warum ist sie weggegangen?
    Ohne Jonah zu bewegen, streckt Elina vorsichtig, ganz vorsichtig die Hand nach dem Telefon aus, das auf dem Couchtisch liegt. Während das Freizeichen ertönt, stellt sie sich vor, wie das Telefon, das dick und fett auf der Empfangstheke thront, ihre Mutter ins Haus lockt, wie sie durch den Wintergarten kommt und …
    »Vilkuna«, meldet sich eine fremde Stimme.
    Elina fragt nach ihrer Mutter; und der Fremde geht sie holen. Dann nähern sich behäbige Schritte, in schlappenden, hinten offenen Schuhen. Vor Sehnsucht schnürt es Elina die Kehle zu.
    » Aiti?« , sagt Elina. Sie ist selbst überrascht, dass sie ihre Mutter so anredet. Das hat sie seit Jahren nicht mehr gemacht. Seit sie ein Teenager war, hat sie immer ihren Vornamen benutzt.
    »Elina? Bist du das?«
    »Ja.« Elina wechselt aufs Schwedische über, wie ihre Mutter.
    »Wie geht es dir? Was macht der kleine Mann?«
    »Dem geht’s gut. Wächst und gedeiht. Er kann schon lachen,
und er hat gerade angefangen …« Elina bricht ab. Ihre Mutter redet mit gedämpfter Stimme mit jemand anderem, auf Finnisch diesmal.
    »… in den Garten. Ich komme gleich.«
    Während Elina wartet, legt sie Jonah die Liste auf den Rücken. U nzuverlässig, Drachen, derselbe Mann.
    »Entschuldige«, sagt ihre Mutter. »Was wolltest du gerade erzählen?«
    »Störe ich? Soll ich später noch mal anrufen?«
    »Nein, nein. Es geht schon. Es ist bloß … Nein, es geht schon. Du wolltest mir von Jonah erzählen.«
    »Es geht ihm gut.«
    Schweigen in der Leitung. Ob sie wieder mit jemandem tuschelt? Oder ihm Zeichen gibt?
    »Danke für die Fotos von ihm, die du mir geschickt hast«, sagt ihre Mutter. »Wir haben uns so darüber gefreut.« Wir?, denkt Elina. »Wir konnten uns nicht einigen, ob er eher auf dich oder auf Ted rauskommt.«
    »Ich finde, er ähnelt keinem von uns. Aber das kann ja noch kommen.«
    »Ja.«
    Wieder eine Pause. In der Stimme ihrer Mutter schwingt ein angespannter Unterton mit, als ob sie nicht allein wäre.
    »Ich kann es später noch mal probieren, wenn es gerade ungünstig ist«, sagt Elina.
    »Es ist nicht ungünstig«, sagt ihre Mutter leicht gereizt. »Überhaupt nicht. Ich freue mich immer, wenn ich mit dir reden kann, das weißt du. Wenn ich schon mal die Gelegenheit habe. Du hast ja nie Zeit und …«
    »Ich habe Zeit«, ruft Elina. »Ich hab nichts zu tun. Mein Leben ist … Ich bin den ganzen Tag zu Hause … und nachts auch. Und ich …« Sie möchte sagen, bitte, bitte, Aiti , ich
weiß nicht, was los ist, warum Ted mir entgleitet, und was ich dagegen machen soll, kann ich bitte nach Hause kommen, jetzt gleich?
    Ihre Mutter spricht weiter. »Jussi hat vor ein paar Tagen erzählt, dass seine Mädchen nach vier Wochen durchgeschlafen haben, alle vier. Es gibt da anscheinend einen Elternratgeber …«
    Jussi - Elinas Bruder. Mit zusammengebissenen Zähnen hört Elina sich die Ergüsse ihre Mutter an: über das Buch, über frühkindliches Schlaftraining und über ihre vier Enkelinnen, die nachts noch nie aufgewacht sind, bis heute nicht, über Jussis Frau, die behäbige Hannele, die sich noch ein Kind wünscht, und über Jussi, der nicht so recht weiß, was er davon halten soll, genauso wie Elinas Mutter.
    »Dann ist Jussi bei dir?«, fragt Elina.
    »Ja!« Plötzlich hellt sich die Stimme ihrer Mutter auf. »Die ganze Familie - den ganzen Sommer! Jussi hat das Wohnzimmer gestrichen, und demnächst nimmt er sich die Veranda vor. Die Mädchen und ich gehen jeden Morgen schwimmen - sie bekommen Unterricht, du erinnerst dich an den Schwimmunterricht in der Bucht? Jussi hatte die Idee, dass die Mädchen heute segeln gehen könnten, und ich hab’ gesagt, dass ich später mit ihnen …«
    Elina betrachtet Jonahs Fingernägel, die geschnitten werden müssten. Sie wischt ein paar Krümel vom Sofa. Sie entdeckt einen Fleck auf einem Kissen. Sie dreht das Kissen um, damit man den Fleck nicht sieht. Sie nimmt die Liste von Jonahs Rücken.
    »Ich wollte dich etwas fragen …«, unterbricht sie eine

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