Die Hand die damals meine hielt - Roman
welche Alternativen er hat. Den Streit fortsetzen - im Streiten sind Lexie und er schließlich Experten - oder das Kriegsbeil begraben und sie mit zu sich nach Hause nehmen. Mit einem raschen Blick auf seine Armbanduhr legt er ihr die Hand auf den Arm und sieht sie mit einem vielsagenden Lächeln an. »Wie viel Zeit hast du noch?«
Wie will man Felix erklären? Als Lexie ihn Mitte der Sechzigerjahre kennengelernt hat, war er Korrespondent bei der BBC, auf dem Sprung vom Hörfunk ins Fernsehen.
Er hatte das ideale Fernsehgesicht: attraktiv, aber nicht zu schön, gebräunt, aber nicht zu dunkel, blond, aber nicht zu hell, elegant, aber nicht übertrieben, mit genau dem richtigen Scheitel an genau der richtigen Stelle. Sein Spezialgebiet waren Kriegsschauplätze, Naturkatastrophen, Unglücksfälle und sonstige Tragödien. Genau die Art von bombastischer Berichterstattung, die Lexie zuwider war. Eine große, mächtige Nation bombardiert ein kleines kommunistisches Land? Felix ist unser Mann. Ein Meer erhebt sich, die Fluten verschlingen ein Dorf? Felix ist unser Mann. Ein erloschener Vulkan bricht aus, eine Fischereiflotte gilt im Atlantik als verschollen, der Blitz schlägt in eine mittelalterliche Kathedrale ein? Felix ist sofort zur Stelle, meistens mitten im Zentrum des gefährlichen Geschehens, oft in einer kugelsicheren Weste, für die er ein Faible hatte. Seine Stimme war fest, ernst, Vertrauen einflößend. Seine Berichte endeten mit einem Kopfnicken und einem selbstbewusst vorgetragenen »Felix Roffe, BBC«. Er stellte Lexie mit der gleichen Entschlossenheit, dem gleichen Charme und der gleichen Konzentration nach, mit der er sonst Naturkatastrophen, politischen Tyrannen und einer notleidenden, aber in ihrem Leid fotogenen Bevölkerung nachjagte. Seit einigen Jahren waren sie - mit Unterbrechungen - ein Paar. Es war ein ständiges Hin und Her mit Felix und Lexie; sie trennten sich, versöhnten sich, gingen ihrer eigenen Wege, kamen wieder zusammen. Sie verließ ihn, er lockte sie zu sich zurück, sie verließ ihn wieder. Sie rieben sich aneinander und kamen doch nicht voneinander los, wie zwei elektrisch aufgeladene Kleidungsstücke.
Kennengelernt hatten sie sich drei Monate vor dem Streit in der Piccadilly durch ein einziges Wort, einen einzigen Ruf. Der von Felix kam:
»Signora!«
Lexie sah von einem Balkon im dritten Stock auf ihn und seinen Begleiter hinunter. Auf der schäumenden, braunen Brühe, die durch die Straße strudelte, schwammen Stühle, Autos, Fahrräder, Straßenschilder, Wäscheleinen. Die Geschäfte und Wohnungen im Erdgeschoss waren überflutet, das Wasser schwappte bis zu den Ladenschildern - »Farmacia«, »Panificio«, »Ferramenta«.
Es war im November 1966. Innerhalb von nur zwei Tagen waren so gewaltige Niederschlagsmengen heruntergekommen wie sonst im gesamten Herbst nicht, der Arno war über die Ufer getreten, Florenz stand unter Wasser. Der Fluss breitete sich unaufhaltsam aus. Bis in die Wohnungen, die Geschäfte, den Dom, die Uffizien. Er riss Möbel, Menschen, Statuen, Pflanzen, Tiere, Teller, Tassen, Gemälde, Bücher, Landkarten mit sich. Er spülte die Edelsteine, Halsketten und Ringe aus den Juwelierläden auf dem Ponte Vecchio, er verschlang sie und zog sie hinunter, in sein schlickig schlammiges Bett.
» Sì?« , rief sie zurück, die Hände wie einen Trichter um den Mund gelegt. Sie war gerade dreißig geworden. Es war vier Jahre her, dass sie das Middlesex Hospital mit einem Veilchenstrauß in der Hand verlassen hatte, neun Jahre, dass sie aus Devon nach London geflohen war. Sie war von ihrer Zeitung nach Florenz geschickt worden, um Berichte über die unermesslichen Verluste an Kunstschätzen nach London zu kabeln, doch stattdessen schickte sie seitenlange Berichte über die 15 000 Obdachlosen, die unzähligen Toten, die Bauern, die alles verloren hatten.
Der blonde Mann ließ die Ruder sinken und stand in dem schwankenden Boot auf. »Dom«, rief er. »Do-hom!«
Gennaro, der Fotograf, auf dessen Balkon Lexie stand,
tauchte neben ihr auf und sah ebenfalls auf die Straße hinunter. » Inglese?« , murmelte er.
Sie nickte.
» Televisione?« Er deutete auf die Kamera des zweiten Mannes.
Sie zuckte mit den Schultern.
Gennaro gab ein verächtliches Schnauben von sich und ging zurück in die Wohnung zu seiner Frau, die gerade dabei war, ihren kleinen Sohn zu überreden, sich in den Hochstuhl zu setzen.
Der blonde Mann dachte einen Augenblick nach. »Signora«,
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