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Die Hand von drüben

Die Hand von drüben

Titel: Die Hand von drüben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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geschehen war.
    Er stellte sie sich zuerst in dem Hörsaal vor, den Kopf mit dem braunen Haar über das Heft gesenkt, in dem sie mitschrieb, und spürte, in solch eine Frau könnte er sich verlieben. Als sie die Augen zu ihm erhob und er ihr ganzes Gesicht sah, wußte er, daß er sich nicht täuschte.
    Als Hero begonnen hatte, in seinem Geist die Person Ruth Lesleys zu schaffen, hatten das Gesicht und die Gestalt seiner Stiefschwester Meg, der Tochter des Earls of Heth, sich in das Bild gedrängt; gute Meg, manchmal seine rechte Hand und Partnerin mit ihrer großen fotografischen Kenntnis, die ihm bei mancher gefährlichen Untersuchung half. Er erinnerte sich an den plötzlichen verzweifelten Druck ihrer Arme, als sie ihn zum Abschied an sich preßte, und wie sie ihm dann einen Kuß gab und ihm mahnend zuflüsterte: «Sei vorsichtig! Sorge um meinetwillen dafür, daß Sandro nichts geschieht.»
    Entschlossen und aus Gründen, die er selber nicht verstand, ließ Hero es nicht zu, daß Ruth Lesley die Gestalt von Meg annahm, und griff in eine weiter zurückliegende Zeit zurück, da ein braunhaariges Mädchen ihm einmal im Traum erschienen war und ihn geküßt hatte. Er hatte nicht gewußt, wer sie war, aber sie waren zusammen Hand in Hand durch eine Wiese voller Frühlingsblumen gegangen.
    Die zärtliche Süße jenes Augenblicks hatte ihn zugleich mit Freude und Melancholie erfüllt. Er war damals vielleicht zehn Jahre alt. Wer sie war? Wer war sie gewesen? Er erfuhr es nie. Sie kam nie wieder. Aber das Echo ihrer Lieblichkeit hallte in den Jahren, da Alexander Hero vom Knaben zum Mann heranwuchs, manchmal noch leise in ihm.
    Aus ihr machte er Ruth Lesley, die jetzt erwachsen und schließlich zu ihm zurückgekehrt war, jene vollkommen unerreichbare Frau, nach der sich jeder Mann in seinem tiefsten Inneren sehnt. Selbst wenn die Liebe kommt und das einsame Herz Trost findet, flüstert das leise Echo jener anderen aus dem längst vergangenen Kindheitstraum leise weiter.
    Der Choral war beendet, und der Plattenspieler wurde abgestellt. Die Stille, die folgte, wurde durch einen häßlichen Laut gestört, der Hero aus seinen Träumen herausriß. Es war ein ersticktes Stöhnen, das aus dem Kabinett kam. Gereizt sagte er sich, daß aller Wahrscheinlichkeit nach Mrs. Bessmer in ihrer sogenannten Trance versank.
    Arnold Bessmer drückte Heros Hand, womit er ihn offenbar ermutigen wollte, und flüsterte: «Sarah beginnt.» Wieder befahl er: «Musik, Pratt», und als die nächste Platte auf den Plattenteller fiel — es war der Choral: «Führe uns, freundliches Licht» —, sagte er: «Alle singen mit.»
    Das Geräusch (von dem Alexander Hero wußte, daß es eine ausgezeichnete Tarnung für das bot, was «Mutter» in dem Kabinett anstellen mochte) machte es Peter Fairweather möglich, zu seiner imaginären Geliebten zurückzukehren.
    Diese Szene spielte nicht mehr im Vorlesungssaal. Er erfand einen goldenen Nachmittag, an dem sie zusammen einen schmalen Feldweg hinunterradelten. Sie hielten an, um sich ein wenig auszuruhen, saßen nebeneinander auf einer Böschung in stillem Nachdenken und sich ihrer Umgebung freuend, der grünen Büsche ringsum, des fernen Waldes, des Summens von Insekten, des Zitterns der Blätter und des Grases im Wind. Und dann blickten sie sich stumm an, erfüllt von der himmelhochjauchzenden Freude, einander nahe zu sein. Darauf küßten sie sich und suchten in der Umarmung den tiefsten Ausdruck ihrer Liebe...
    Alexander Hero stand einen Augenblick abseits und betrachtete die auf der Böschung sich umschlingenden Liebenden. Wenn Gedanken tatsächlich elektrisch geladen sein konnten und die plumpe Frau hinter den Vorhängen sie zu empfangen vermochte, dann mußten Ruth Lesley und ihr Liebhaber vereint werden. Was Hero überraschte, war das Verlangen, das er empfand, zu dem von ihm geschaffenen Geschöpf zurückzukehren. Es war, als hätte er sie zum Leben erweckt, und sie erwartete ihn dort auf der grünen moosigen Böschung der Phantasie, wo die Winde immer weich und von Düften schwer sind und die Mädchen der erreichbare Zauber.
    Aber wenn sie zum Leben erweckt worden war, sie war auch zum Tod verurteilt worden. In seinem Inneren schuf Peter Fairweather jetzt das Gefühl des äußersten Elends und der tiefsten Trostlosigkeit einer dunkel gewordenen Welt, eines endlosen Tastens und Wanderns durch dieses Dunkel auf der Suche nach der für immer Verlorenen. Seine Geliebte war tot, das warme Fleisch kalt,

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