Die Hand
daß jemand an Bord war. Auch im Sil-vercross-Haus brannte kein Licht.
„Ein Bild des Friedens“, bemerkte Mister Miller enttäuscht, als sie vorbeituckerten. „Anscheinend schlafen sie alle den Schlaf der Gerechten. Direkt himmlisch, diese Idylle... he, Moment mal, was ist das?“
Mister Miller deutete aufgeregt zum Haus.
Auch Clifton sah das Auto, aus dem jetzt zwei Personen stiegen. Um sie zu erkennen, war es zu dunkel.
„Der eine könnte der Doktor sein“, vermutete Mister Miller. „Aber der andere... Miß Nancy ist ja angeblich in Edinburgh. Wer kann das sonst noch sein, Mister Clifton?“
„Ja, wer?“ murmelte Perry Clifton nachdenklich. „Mir scheint, Mister Miller, dieses Haus birgt mehr dunkle Geheimnisse, als wir bisher geglaubt haben...“
Oben verharrten wie angewurzelt Ritchie Carryl und der Doktor, der sich von einem harten Griff am Arm gepackt fühlte.
„Was ist das da unten, Doktor? Verdammt noch mal, was ist das? Das ist doch ein Boot. Was macht ein Boot in dieser gottverlassenen Bucht um diese Zeit. Was um alles in der Welt...“ Ritchies Stimme war vor Erregung heiser.
„Zum Teufel noch mal, laß meinen Arm los, Ritchie“, flüsterte der Doktor nicht weniger aufgeregt. „Daß das ein Boot ist, sehe ich auch. Vielleicht irgendein Fischer, der in den Hafen zurückfährt. Was weiß ich...“
„Was weiß ich“, äffte Ritchie Carryl den Doktor nach. „Hier passieren mir in letzter Zeit zu viele Dinge, von denen wir nicht wissen, was sie bedeuten. Da kann ich nicht so leicht drüber Weggehen wie du. Herrgott, Doktor, wir schmuggeln hier schließlich keine Zigaretten sondern Menschen.“
„Du verlierst die Nerven, Ritchie“, sagte der Doktor kalt. „Daß die HAND keine Murmelspiele veranstaltet, weißt du schließlich nicht erst seit heute. Also, reiß dich gefälligst zusammen. Wir haben die Sache angefangen, und wir bringen sie auch zu Ende. Kapierst du das endlich?“
Ritchie Carryl beruhigte sich langsam.
Er war einfach zu müde, um den Streit mit dem Doktor wieder neu aufflammen zu lassen. Nachdem sie den Transporter auf dem Parkplatz abgestellt hatten, rangen sich beide dazu durch, so etwas Ähnliches wie eine Entschuldigung zu murmeln, was auf einen Waffenstillstand hinauslief. Nur deshalb, nicht weil sich sein ungutes Gefühl inzwischen gelegt hatte, lenkte Ritchie Carryl jetzt ein: „Okay, Doktor, okay. Bin eben etwas durcheinander. Ist ja auch kein Wunder, wo ich kaum noch zum Schlafen komme. Bin einfach überanstrengt, da können einem die Nerven schon einen Streich spielen. Morgen sieht alles wieder anders aus. Gehen wir ins Haus.“
Dr. Stanley legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „So gefällst du mir schon besser. Das ist wieder der alte Ritchie. Mach dir keine Sorgen. Was die HAND austüftelt, ist hieb- und stichfest. Da geht nichts schief.“
„Dein Wort in Gottes Ohr, Doktor. Gute Nacht dann.“
„Gute Nacht, Ritchie. Schlaf dich ordentlich aus... Und sag den Jungs nichts. Es genügt schon, wenn wir uns verrückt gemacht haben.“
Post für Inspektor Skiffer
Sonnabend, 2. August.
Als der Schottland-Expreß aus Glasgow mit zwei Minuten Verspätung um 7 Uhr 17 langsam auf Bahnsteig 19 des King’s-Cross-Bahnhofes einrollte, wurde er bereits ungeduldig von einem Scotland-Yard-Beamten erwartet. Der Mann vom Bahnpostamt neben ihm schimpfte innerlich auf die Hektik, die der Polizist vor zehn Minuten verursacht hatte, indem er seinen Ausweis zückte und knappe Anweisungen gab.
Um 7 Uhr 29 hatte der Beamte eine Sendung von Perry Clifton aus Wilkesham in Händen. Um 7 Uhr 58 lag das Paket offen vor Inspektor Skiffer auf seinem Schreibtisch in Scotland Yard. Der Inhalt bestand aus einem scheußlichen Gemälde, aus drei einzelnen in Cellophantütchen verpackten Ansichtskarten, einem Film und einem Brief, den der Inspektor jetzt hastig überflog:
Hallo, Scotty,
hier einige kurze Anmerkungen zum Inhalt meiner Sendung. Die Ansichtskarten enthalten Fingerabdrücke von drei verschiedenen Personen, die ich Dir hier zur Überprüfung schicke.
Das Gemälde sollte Dich zu einem zweiten Abendessen bei Clive im Old Commercial in Kensington veranlassen. Du erinnerst Dich sicher an die dortigen Bilder an der Wand. Wenn sie signiert sind, hast Du höchstwahrscheinlich den richtigen Namen des Malers, der sich hier Pierre Laucaud nennt.
Auf dem Film ist — hoffentlich — dieser Maler in natura zu sehen, wenn Du sein Gesicht herausvergrößern läßt.
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