Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
Auch die Opfer hatten nichts miteinander gemein. Dass sich ein Mörder sowohl Mark Mellery als auch Albert Schmitt als Angriffsziel aussuchen könnte, war nahezu unvorstellbar.
Diese Überlegungen zusammen mit der unangenehmen Fahrt bei zunehmendem Regen trugen wahrscheinlich zu seinem gequälten Gesichtsausdruck bei, als er tropfnass in die Küche des alten Farmhauses trat.
»Was ist denn mit dir los?« Madeleine blickte von der Zwiebel auf, die sie gerade würfelte.
»Was soll sein?«
Achselzuckend schnitt sie weiter.
Die Gereiztheit seiner Antwort hing in der Luft. Schließlich murmelte er entschuldigend: »Hatte einen anstrengenden Tag, sechs Stunden Hin- und Rückfahrt im Regen.«
»Und?«
»Und? Die ganze Aktion war wahrscheinlich völlig umsonst.«
»Und?«
»Reicht das nicht?«
Sie lächelte zweifelnd.
»Und dann auch noch die Bronx«, fügte er mürrisch hinzu. »Ich kann mir kein Erlebnis vorstellen, das durch die Bronx nicht hässlicher wird.«
Sie machte sich daran, die Zwiebel in winzige Stückchen zu hacken. Ihr Blick klebte am Schneidbrett. »Du hast zwei Nachrichten auf dem Anrufbeantworter: deine Bekannte aus Ithaca und dein Sohn.«
»Haben Sie was gesagt, oder soll ich zurückrufen?«
»So genau hab ich es nicht abgehört.«
»Mit der Bekannten aus Ithaca meinst du wohl Sonya Reynolds?«
»Gibt es auch andere?«
»Andere was?«
»Bekannte in Ithaca, von denen du noch nichts erzählt hast.«
»Ich habe überhaupt keine Bekannten in Ithaca. Sonya Reynolds ist eine Geschäftspartnerin - und selbst das kaum. Was wollte sie denn?«
»Wie gesagt, die Nachricht ist auf dem Anrufbeantworter.« Madeleines Messer, das über den Zwiebelstücken geschwebt hatte, fuhr mit besonderer Vehemenz nach unten.
»Mein Gott, pass auf deine Finger auf!« In seiner Stimme schwang mehr Ärger als Sorge.
Während die scharfe Klinge noch auf das Brett drückte, schaute sie neugierig auf. »Was ist also wirklich passiert heute?« Ihre Frage brachte das Gespräch zurück an den Punkt, bevor es entgleist war.
»Wahrscheinlich bin ich einfach frustriert. Ich weiß
auch nicht.« Er trat zum Kühlschrank und nahm eine Flasche Heineken heraus, die er öffnete und auf den Tisch in der Frühstücksecke bei der Terrassentür stellte. Dann zog er die Jacke aus, legte sie über eine Stuhllehne und setzte sich hin.
»Du willst wissen, was passiert ist? Ich erzähl’s dir. Auf Anfrage eines New Yorker Detective mit dem lächerlichen Namen Randy Clamm habe ich eine dreistündige Fahrt zu einem tristen Häuschen in der Bronx gemacht, wo einem Arbeitslosen die Kehle aufgeschlitzt wurde.«
»Warum hat er dich angerufen?«
»Gute Frage. Anscheinend hat Detective Clamm von dem Mord hier in Peony gehört. Die Ähnlichkeit der Verletzungen hat ihn dazu veranlasst, bei der Polizei in Peony anzurufen. Die hat ihn an den Ermittlungsleiter weiterverwiesen, Captain Rodriguez, einen fiesen, kleinen Arschkriecher, dessen Gehirngröße gerade noch reicht, um eine unbrauchbare Spur zu erkennen.«
»Er hat dich also informiert?«
»Nein, den Bezirksstaatsanwalt, weil er genau wusste, dass der sich automatisch an mich wenden wird.«
Madeleine schwieg, aber die naheliegende Frage stand in ihren Augen.
»Ja, ich wusste, dass wahrscheinlich nichts dabei rauskommt. In diesem Teil der Welt sind Messerstechereien eine normale Art von Streit, aber irgendwie hatte ich einfach das Gefühl, dass ich vielleicht auf was stoße, was die beiden Fälle miteinander verbindet.«
»Aber du hast nichts gefunden?«
»Nein. Zuerst sah es gar nicht mal schlecht aus. Die Witwe hat was verschwiegen. Schließlich gab sie zu, dass sie was am Tatort verändert hat. Anscheinend lag auf dem Boden eine Blume, die ihr Mann für sie mitgebracht hatte.
Sie hatte Angst, dass die Ermittler sie mitnehmen würden, aber sie wollte sie behalten - was man auch verstehen kann. Also hat sie sie aufgehoben und in eine Vase gestellt. Ende der Geschichte.«
»Hast du gehofft, sie gibt zu, dass sie Fußspuren im Schnee verwischt oder einen weißen Gartenstuhl versteckt hat?«
»Irgend so was in der Richtung. Aber letztlich war es bloß eine Plastikblume.«
»Plastik?«
»Plastik.« Er genehmigte sich einen tiefen Schluck Bier. »Nicht gerade ein sehr stilvolles Geschenk.«
»Überhaupt kein Geschenk, wenn du mich fragst«, stellte sie fest.
»Wie meinst du das?«
»Echte Blumen können ein Geschenk sein, und das ist meistens auch ihr Zweck. Aber bei künstlichen
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