Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
nickte. Die Aufnahme lief weiter.
»Wenn ich Gott hören könnte, was würde Er mir befehlen?«
»Das verstehe ich nicht ganz, Sir. Können Sie mir erklären, was Sie meinen?«
Plötzlich verkündete die Stimme in dröhnendem Tonfall: »Gott würde mir befehlen, sie alle zu töten!«
»Sir? Jetzt bin ich wirklich verwirrt. Soll ich diese Nachricht notieren und sie an Mr. Dermott weitergeben?«
Ein scharfes Lachen, als würde Zellophan zusammengeknüllt.
»Nun ist er da, der Augenblick./Dermott und Gurney, seht euch vor./Schon tritt der Schnitter ein durchs Tor./ Und die Uhr macht tick-tack-tick.«
50
Neusuche
Nardo war der Erste, der zu sich kam. »Das war der ganze Anruf?«
»Ja, Sir.«
Er lehnte sich zurück und rieb sich die Schläfen. »Noch nichts von Chief Meyers?«
»Wir hinterlassen ihm immer wieder Nachrichten an der Hotelrezeption und auf dem Handy. Aber bis jetzt hat er sich noch nicht gemeldet.«
»Ich nehme an, die Nummer des Anrufers war unterdrückt?«
»Ja, Sir.«
»›Sie alle zu töten‹, also?«
»Ja, Sir. Das waren seine Worte. Wollen Sie die Aufnahme noch mal hören?«
Nardo schüttelte den Kopf. »Können Sie sich vorstellen, wen er damit meint?«
»Sir?«
»›Sie alle zu töten.‹ Wen?«
Die Polizistin wirkte ratlos. Nardos Blick glitt zu Gurney.
»Nur eine Vermutung, Lieutenant, aber ich würde sagen, entweder meint er die restlichen Leute auf seiner Abschussliste - wenn es noch welche gibt - oder alle hier in diesem Haus.«
»Und was ist mit dem Schnitter, der durchs Tor tritt? Warum ›der Schnitter‹?«
Gurney zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Vielleicht gefällt ihm nur das Wort, weil es zu seinem pathologischen Selbstbild passt.«
Nardos Gesicht verzog sich unwillkürlich zu einem Ausdruck des Ekels. Zum ersten Mal redete er die Polizistin mit ihrem Namen an. »Pat, gehen Sie bitte mit Big Tommy vors Haus. Postieren Sie sich an diagonal gegenüberliegenden Ecken, damit Sie zusammen alle Türen und Fenster beobachten können. Und geben Sie auch den anderen Bescheid. Jeder Beamte muss bereit sein, beim geringsten Zeichen von Unruhe sofort zum Haus zu stürmen. Fragen?«
»Erwarten wir einen bewaffneten Angriff, Sir?« Sie klang hoffnungsvoll.
»›Erwarten‹ würde ich nicht sagen, aber wir müssen auf jeden Fall darauf gefasst sein.«
»Glauben Sie wirklich, dieser verrückte Scheißkerl treibt sich noch in der Gegend rum?« In ihren Augen blitzte es explosiv.
»Möglicherweise. Erzählen Sie Big Tommy von dem neuesten Anruf des Täters. Halten Sie Augen und Ohren offen.«
Sie nickte knapp, dann war sie verschwunden.
Mit grimmiger Miene wandte sich Nardo an Gurney. »Was meinen Sie? Soll ich die State Police alarmieren und eine Kavallerie anrücken lassen? Oder war der Anruf nur Quatsch?«
»Angesichts der bisherigen Opferzahl wäre es wahrscheinlich riskant, den Anruf als Quatsch abzutun.«
»Ich tue überhaupt nichts ab.« Nardo kniff die Lippen zusammen.
Angespanntes Schweigen entstand.
Nach einer Weile wurde es von einer heiseren Stimme von oben durchbrochen.
»Lieutenant Nardo? Detective Gurney?«
Nardo zog eine Grimasse wie von saurem Aufstoßen. »Vielleicht ist Dermott wieder was eingefallen, was er uns mitteilen möchte.« Er sank tiefer in seinen Stuhl.
»Ich kümmere mich darum.« Gurney erhob sich.
Er trat hinaus in die Eingangshalle. Dermott stand in der Tür seines Schlafzimmers. Er wirkte fahrig, ungeduldig, erschöpft.
»Könnte ich mit Ihnen reden … bitte?« Das »Bitte« klang nicht sehr freundlich.
Dermott schien zu zittrig zum Treppensteigen, also lief Gurney hinauf. Dabei streifte ihn der Gedanke, dass das eigentlich kein Zuhause war, sondern nur eine Firma mit Schlafraum. In dem Viertel, in dem er aufgewachsen war, gab es so etwas öfter: Geschäfte mit Wohnräumen darüber. Zum Beispiel der armselige Besitzer eines Feinkostladens, dessen Hass auf das Leben mit jedem Kunden größer wurde, oder der Leichenbestatter mit Mafiaverbindungen, der mit seiner dicken Frau und seinen dicken vier Kindern auf engstem Raum hauste. Allein von der Erinnerung wurde ihm mulmig zumute.
Doch er schob das Gefühl beiseite und versuchte stattdessen, das Unbehagen in Dermotts Gesicht zu ergründen.
Der Mann spähte die Treppe hinunter. »Ist Lieutenant Nardo weggegangen?«
»Er ist unten. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich habe Autos wegfahren gehört«, stellte Dermott in anklagendem Ton fest.
»Sie bleiben in der
Weitere Kostenlose Bücher