Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
nicht steht?«
»Nun … ja, eine Sache. Bevor er aufgelegt hat, hat er gefragt, ob ich am Institut für Mr. Mellery arbeite. Ich habe mit ja geantwortet. Darauf er: ›Vielleicht sollten Sie sich nach einer neuen Stelle umsehen. Ich habe gehört, dass die spirituelle Erneuerung auf dem absteigenden Ast ist.‹ Dann hat er gelacht. Anscheinend war er sehr angetan von seinem Witz. Zuletzt hat er mir eingeschärft, dass ich Mr. Mellery die Nachricht sofort bringen soll. Deswegen bin ich gleich rübergekommen.« Sie warf Mellery einen besorgten Blick zu. »Ich hoffe, das war in Ordnung.«
»Absolut.« Mellery tat, als hätte er die Situation voll im Griff.
»Susan, mir fällt auf, dass Sie den Anrufer mit ›er‹ bezeichnen«, bemerkte Gurney. »Sind Sie sich also relativ sicher, dass es ein Mann war?«
»Ich glaube schon.«
»Hat er auch erwähnt, wann er heute Abend anrufen will?«
»Nein.«
»Erinnern Sie sich noch an was anderes, irgendwas, egal, wie banal es ist?«
Ihre Stirn kräuselte sich leicht. »Ich hatte so ein unheimliches Gefühl, ein Gefühl, dass er nicht besonders nett ist.«
»Klang er zornig? Hart? Bedrohlich?«
»Nein, das nicht. Er war höflich, aber …«
Gurney wartete, bis sie die richtigen Worte gefunden hatte.
»Vielleicht zu höflich. Oder es war seine merkwürdige Stimme. Ich kann nicht genau sagen, woher dieses Gefühl kam. Auf jeden Fall hatte ich Angst.«
Nachdem sie in ihr Büro im Hauptgebäude zurückgekehrt war, starrte Mellery auf den Boden zwischen seinen Füßen.
»Höchste Zeit, dass du zur Polizei gehst.« Gurney wollte den Moment nutzen, um seiner Ansicht Nachdruck zu verleihen.
»Die Polizei von Peony? Mein Gott, das klingt doch wie ein Schwulenkabarett.«
Gurney ignorierte den müden Witz. »Wir haben es hier nicht nur mit ein paar verrückten Briefen und einem Telefonanruf zu tun. Wir haben es mit jemandem zu tun, der dich hasst, der mit dir abrechnen will. Er hat dich im Visier, und vielleicht ist er kurz davor abzudrücken.«
»X. Arybdis?«
»Eher der Erfinder des Decknamens X. Arybdis.«
Gurney erzählte Mellery, wie er sich mit Madeleines Hilfe an die tödliche Charybdis aus der griechischen Sage erinnert hatte. Und die Tatsache, dass er weder über Onlineverzeichnisse noch über Suchmaschinen auch nur einen einzigen X. Arybdis in Connecticut oder den angrenzenden Staaten gefunden hatte.
»Ein Strudel?« Mellery wirkte beklommen.
Gurney nickte.
»O nein«, entfuhr es Mellery.
»Was ist?«
»Meine schlimmste Phobie dreht sich ums Ertrinken.«
12
Der Wert der Ehrlichkeit
Mellery stand am Kamin und stocherte mit einem Schürhaken in den brennenden Scheiten herum.
»Warum ist der Scheck zurückgekommen?« Das Thema beschäftigte ihn offenbar wie ein weher Zahn. »Der Typ ist doch sonst so präzise - schau dir nur seine Handschrift an. Wie die eines Buchhalters. So einer macht doch keinen Fehler bei einer Adresse. Also steckt etwas dahinter. Aber was?« Er wandte sich vom Feuer ab. »Davey, verdammt, was läuft da ab?«
»Kann ich mal den Brief sehen, mit dem der Scheck zurückgeschickt wurde? Der, den du mir am Telefon vorgelesen hast?«
Mellery trat an den kleinen Sheraton-Sekretär auf der anderen Seite des Zimmers und bemerkte erst, als er dort angekommen war, dass er den Schürhaken mitgenommen hatte. »Mist.« Frustriert blickte er sich um. Er fand einen Platz an der Wand, wo er ihn abstellen konnte, dann zog er einen Umschlag aus der Schublade des Sekretärs und brachte ihn Gurney.
In einem größeren, an Mellery adressierten Kuvert befand sich der Umschlag, den Mellery an X. Arybdis P.O. Box 49449 in Wycherly geschickt hatte, und darin wiederum der Scheck über den Betrag von 289,87 Dollar. In dem äußeren Kuvert war außerdem ein hochwertiger
Bogen Papier mit dem Briefkopf GD-SICHERHEITSSYSTEME, der auch eine Telefonnummer enthielt, und der kurzen getippten Nachricht, die Gurney schon von ihrem letzten Telefonat kannte. Der Brief war von einem Gregory Dermott ohne Angabe eines Titels unterschrieben.
»Du hast nicht mit diesem Dermott gesprochen?«, fragte Gurney.
»Warum sollte ich? Ich meine, wenn die Adresse nicht stimmt, dann stimmt sie eben nicht. Was hat das mit ihm zu tun?«
»Keine Ahnung«, antwortete Gurney. »Aber es wäre vielleicht ganz gut, mit ihm zu reden. Hast du ein Telefon in der Nähe?«
Mellery nahm sein topaktuelles BlackBerry vom Gürtel und reichte es ihm. Gurney gab die Nummer aus dem Briefkopf ein. Nach
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