Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
Verstärkung. Möglicherweise …
O Gott!
Er ertappte sich bei der völlig absurden Analyse seines Hangs zur Analyse. Reumütig versuchte er, wieder ins Hier und Jetzt zurückzukehren. Gott steh mir bei, damit ich hier sein kann , sagte er sich, obwohl er nicht an die Wirkung von Gebeten glaubte. Hoffentlich hatte er die Worte wenigstens nicht laut gesprochen.
Das Telefon klingelte. Es war wie ein Aufschub, wie die Erlaubnis zur Unterbrechung der Schlacht.
Er hievte sich hoch und ging in sein Arbeitszimmer, um das Gespräch entgegenzunehmen.
»Davey, ich bin’s, Mark.«
»Ja?«
»Ich habe gerade mit Caddy gesprochen, und sie hat mir von der Begegnung mit dir im Meditationsgarten erzählt.«
»Stimmt.«
»Äh … also … das ist mir jetzt wirklich peinlich, weil ich euch nicht schon vorher miteinander bekannt gemacht habe.« Er zögerte, wie in Erwartung einer Antwort, aber Gurney schwieg.
»Dave?«
»Ich bin noch dran.«
»Nun … jedenfalls wollte ich mich dafür entschuldigen, dass ich euch nicht vorgestellt habe. Das war gedankenlos von mir.«
»Kein Problem.«
»Sicher?«
»Sicher.«
»Du klingst nicht besonders glücklich.«
»Ich war einfach nur überrascht, dass du sie nicht erwähnt hast.«
»Äh... ja … ich glaube, ich hatte einfach so viel im Kopf, da ist es mir nicht eingefallen. Bist du noch da?«
»Ja.«
»Du hast Recht, es muss einen seltsamen Eindruck machen, dass ich nichts von ihr erzählt habe.« Mit einem verlegenen Lachen setzte er hinzu: »Ein Psychologe fände das bestimmt interessant, wenn jemand vergisst, seine Frau zu erwähnen.«
»Mark, ich möchte dir eine Frage stellen. Sagst du mir die Wahrheit?«
»Was? Warum fragst du mich das?«
»Weil du meine Zeit verschwendest.«
Längere Zeit herrschte Schweigen. Schließlich seufzte Mellery. »Hör zu, das ist eine lange Geschichte. Ich wollte Caddy nicht in dieses… Chaos hineinziehen.«
»Von welchem Chaos reden wir gerade?«
»Die Drohungen, die Andeutungen.«
»Sie weiß also nichts von den Briefen?«
»Das hätte keinen Sinn. Sie würde nur Angst bekommen.«
»Aber sie weiß von deiner Vergangenheit. Aus deinen Büchern.«
»Bis zu einem gewissen Grad. Aber diese Drohungen sind was anderes. Diese Sorgen will ich ihr ersparen.«
Das klang fast plausibel für Gurney. Fast.
»Gibt es irgendwas Besonderes in deiner Vergangenheit, was du Caddy, der Polizei oder mir unbedingt verheimlichen willst?«
Diesmal stand das unentschlossene Schweigen vor Mellerys »Nein« so offen im Widerspruch zu der Leugnung, dass Gurney lachte.
»Was ist daran so komisch?«
»Ich weiß nicht, Mark, ob du tatsächlich der schlechteste Lügner bist, der mir je begegnet ist, aber in die Endausscheidung kommst du auf jeden Fall.«
Nach einer weiteren langen Pause lachte auch Mellery, ein leises, verzagtes Lachen, das sich wie gedämpftes Schluchzen anhörte. Mit nüchterner Stimme meinte er: »Wenn nichts mehr hilft, sollte man die Wahrheit sagen. Kurz nach der Hochzeit mit Caddy hatte ich eine kurze Affäre mit einer Frau, die hier zu Gast war. Völlig indiskutabel. Es ist furchtbar schiefgelaufen - was jeder vernünftige Mensch hätte vorhersehen können.«
»Und?«
»Das war alles. Allein die Vorstellung lässt mich zusammenzucken. Es ist eine Verbindung zu all der Selbstsucht, Triebhaftigkeit und Bewusstlosigkeit meiner Vergangenheit.«
»Vielleicht hab ich ja was verpasst«, warf Gurney ein, »aber was hat das damit zu tun, dass du mir nichts von deiner zweiten Ehe erzählt hast?«
»Du wirst mich jetzt bestimmt für paranoid halten. Aber ich dachte, dass vielleicht irgendeine Verbindung zwischen der Affäre und dieser Charybdis-Geschichte besteht. Ich hatte Angst, dass du mit Caddy reden willst und … ich
möchte um jeden Preis vermeiden, dass sie mit irgendwas in Berührung kommt, was mit dieser lächerlichen, heuchlerischen Affäre zu tun hat.«
»Ich verstehe. Übrigens, wem gehört das Institut eigentlich?«
»Gehört? In welchem Sinn?«
»Gibt es mehrere?«
»Im Geist gehört das Institut mir. Das Programm beruht auf meinen Büchern und Videos.«
»Im Geist?«
»Rechtlich gesehen gehört alles Caddy - die Immobilie und die Einrichtung.«
»Interessant. Du bist also der Trapezstar, aber Caddy ist die Besitzerin des Zirkuszelts.«
»So könnte man es ausdrücken«, erwiderte Mellery kühl. »Aber ich muss jetzt aus der Leitung gehen. Der Anruf von Charybdis kann jederzeit kommen.«
Er kam genau drei Stunden
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