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Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number

Titel: Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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Konzentration - und dann der Inhalt der Schachtel, den er nicht vergessen hatte, seit er vor langer Zeit weggepackt worden war. Dannys Buntstiftkritzeleien. O Gott. Das Blatt mit den kleinen orangefarbenen Tupfen, in denen Madeleine Ringelblumen erkannt hatte. Und diese komische Zeichnung, die vielleicht einen grünen Ballon darstellte oder einen Baum oder auch einen Lutscher. Verdammt.
    Bevor er sich recht besonnen hatte, bremste er auf der säuberlich gekiesten Parkfläche des Instituts. Die Fahrt hatte keinen Eindruck in seinem Bewusstsein hinterlassen. Er ließ den Blick über seine Umgebung gleiten, um wieder zu sich zu kommen und seinen Verstand dorthin zurückzuholen, wo sein Körper war.
    Allmählich entspannte er sich etwas und fühlte die fast schläfrige Leere, die häufig auf starke Emotionen folgte. Er schaute auf die Uhr. Irgendwie war er genau pünktlich angekommen. Anscheinend funktionierte dieser Teil von ihm, ohne dass er ihn bewusst steuern musste. Als er das Auto abgeschlossen hatte und den gewundenen Pfad zum Haus einschlug, fragte er sich, ob die Rollenspieler vor der Kälte nach drinnen geflüchtet waren. Wie bei seinem ersten Besuch wurde die Eingangstür von Mellery geöffnet, bevor er klopfen konnte.
    Gurney trat ein und ließ den Wind hinter sich. »Was Neues?«

    Mellery schüttelte den Kopf und schloss die schwere, antike Tür, allerdings nicht bevor ein halbes Dutzend tote Blätter über die Schwelle geweht waren.
    »Komm nach hinten ins Arbeitszimmer«, sagte er. »Ich habe Kaffee, Saft...«
    »Kaffee wäre mir recht«, antwortete Gurney.
    Wieder ließen sie sich in den Ohrensesseln am Kamin nieder. Auf dem niedrigen Tisch zwischen ihnen lag ein großer brauner Umschlag, auf den Mellery deutete. »Kopien der Briefe und eine Aufnahme des Anrufs. Alles für dich.«
    Gurney nahm das Kuvert und legte es sich auf den Schoß.
    Sein Gegenüber beäugte ihn erwartungsvoll.
    »Du solltest zur Polizei gehen«, sagte Gurney.
    »Das haben wir doch schon alles besprochen.«
    »Dann besprechen wir es eben noch mal.«
    Mellery schloss die Augen und massierte sich die Stirn, als hätte er Kopfschmerzen. Als er die Augen wieder aufschlug, hatte er eine Entscheidung getroffen.
    »Komm mit zu meinem Vormittagsvortrag. Sonst verstehst du das nicht.« Er redete schnell, wie um jedem Einwand zuvorzukommen. »Was hier passiert, ist sehr subtil, sehr zerbrechlich. Wir vermitteln unseren Gästen etwas über Gewissen, Frieden, Klarheit. Voraussetzung dafür ist, dass wir ihr Vertrauen gewinnen. Wir zeigen ihnen etwas, das ihr Leben verändern kann. Aber das ist wie mit Luftschrift. An einem ruhigen Himmel ist sie lesbar. Doch es genügen ein paar Windstöße, und es bleibt nur Wortsalat übrig. Begreifst du, was ich meine?«
    »Ich bin mir nicht sicher.«
    »Komm einfach zu dem Vortrag«, bat Mellery.

    Um Punkt zehn Uhr folgte Gurney ihm in einen großen Raum im Erdgeschoss des Hauptgebäudes. Die Einrichtung erinnerte an einen teuren Landgasthof. Ein Dutzend Lehnsessel und halb so viele Sofas waren auf einen großen Kamin hin ausgerichtet. Die meisten der zwanzig Anwesenden saßen bereits. Einige standen noch an einem Büfett mit einer silbernen Kaffeemaschine und einem Tablett Croissants.
    Mellery schlenderte vor den Kamin und wandte sich seinen Zuhörern zu. Die Leute am Büfett eilten zu ihren Plätzen, und erwartungsvolles Schweigen kehrte ein. Mellery winkte Gurney zu einem Sessel.
    »Das ist David.« Mellery lächelte in Gurneys Richtung. »Er will mehr darüber erfahren, was wir hier machen, deshalb habe ich ihn zu unserer Vormittagssitzung eingeladen.«
    Mehrere Stimmen begrüßten ihn freundlich, und auf allen Gesichtern erschien ein Lächeln, das in den meisten Fällen auch echt wirkte. Er fing den Blick der veilchenzarten Frau auf, die ihn gestern am Parkplatz angepöbelt hatte. Heute machte sie einen gesetzten Eindruck und errötete sogar leicht.
    Mellery begann ohne lange Vorreden. »Unser Leben wird von Rollen beherrscht, deren wir uns nicht bewusst sind. Am stärksten werden wir von den Bedürfnissen angetrieben, die uns am wenigsten präsent sind. Um glücklich und frei zu sein, müssen wir die Rollen, die wir spielen, als das erkennen, was sie sind, und unsere verborgenen Bedürfnisse ans Licht bringen.«
    Er sprach ruhig und schnörkellos, das Publikum hing an seinen Lippen.
    »Der erste Stolperstein auf unserer Suche ist die Annahme, dass wir uns bereits kennen, dass wir unsere

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