Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
Gurney.
»Captain Rod Rodriguez, das Oberarschloch«, wisperte es körperlos, als ein gedrungener, studiogebräunter Mann mit oberflächlichem Lächeln und bösartigen Augen eintrat und einer größeren Gestalt hinter ihm die Tür aufhielt - ein schlanker, wacher Typ, dessen Blick durch den Raum fegte und kurz an allen Anwesenden hing. »Bezirksstaatsanwalt Sheridan Kline. Möchte Gouverneur Kline werden.«
Der dritte Mann, der sich hinter Kline hereinschlängelte, war vorzeitig kahl geworden und strahlte den Charme einer Schüssel mit kaltem Sauerkraut aus. »Stimmel, Klines Chefassistent.«
Rodriguez führte sie zu den gekippten Stühlen und bot den mittleren eifrig Kline an, der sich ganz selbstverständlich darauf niederließ. Stimmel nahm links, Rodriguez rechts von ihm Platz. Durch eine Brille mit dünnem Drahtgestell beäugte er die anderen Gesichter im Zimmer. Der makellos frisierte schwarze Haarschopf, der sich aus seiner niedrigen Stirn erhob, war offenkundig gefärbt. Schließlich pochte er mehrmals scharf mit den Knöcheln auf den Tisch und vergewisserte sich mit einem Rundblick, dass ihn alle gehört hatten.
»Auf der Tagesordnung steht, dass die Besprechung um zwölf anfängt, und jetzt ist es nach meiner Uhr Punkt zwölf. Es wäre schön, wenn Sie Ihre Plätze einnehmen könnten.«
Hardwick saß neben Gurney. Auch die Gruppe an der Kaffeemaschine kam zum Tisch, und nach einer halben
Minute hatten sich alle auf ihren Stühlen niedergelassen. Rodriguez zog ein saueres Gesicht, wie um anzudeuten, dass das bei echter Professionalität nicht so lange gedauert hätte. Als er Gurney bemerkte, bebte sein Mund auf eine Weise, die man als flüchtiges Lächeln, aber auch als Zusammenzucken deuten konnte. Beim Anblick eines leer gebliebenen Stuhls verfinsterte sich seine Miene noch weiter. Dann fuhr er fort.
»Ich muss Ihnen wohl nicht sagen, dass uns da ein aufsehenerregender Mordfall in den Schoß gefallen ist. Wir sind hier, um dafür zu sorgen, dass wir auch alle hier sind.« Er hielt inne, um sein Zen-Bonmot wirken zu lassen. Dann übersetzte er für die Begriffsstutzigen: »Wir sind hier, um dafür zu sorgen, dass wir in diesem Fall alle vom ersten Tag an am gleichen Strang ziehen.«
»Vom zweiten Tag an«, knurrte Hardwick.
»Bitte?«, ächzte Rodriguez.
Die zwei Cruise-Zwillinge tauschten verwirrte Blicke aus.
»Heute ist der zweite Tag, Sir. Gestern war der erste Tag, Sir, und zwar ein hundsgemeiner.«
»Das war natürlich nur eine Redewendung. Mir kommt es darauf an, dass wir in diesem Fall von Anfang an auf einer Wellenlänge sind. Wir müssen im gleichen Rhythmus marschieren. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Hardwick nickte unschuldig. Rodriguez wandte sich demonstrativ von ihm ab, um seine Bemerkungen an ernsthaftere Menschen zu richten.
»Nach jetzigem Kenntnisstand können wir uns auf einen kniffligen, komplexen, heiklen und potenziell sogar sensationellen Fall einstellen. Wie ich höre, war das Opfer ein erfolgreicher Autor und Dozent. Die Familie seiner Frau soll extrem vermögend sein. Zur Klientel des
Mellery-Instituts gehören einige reiche, eigenwillige und schwierige Charaktere. Die vier Schlüssel zu unserem Erfolg sind also Organisation, Disziplin, Kommunikation und noch mal Kommunikation. Was Sie sehen, hören, folgern, ist alles wertlos, wenn es nicht ordnungsgemäß dokumentiert und gemeldet wird. Kommunikation und noch mal Kommunikation.« Er schaute sich um und ließ den Blick besonders lang auf Hardwick ruhen, um ihn - auf nicht gerade subtile Weise - als denjenigen bloßzustellen, der sich besonders hartnäckig über die Dokumentations- und Melderegeln hinwegsetzte. Hardwick studierte eine große Sommersprosse auf seiner rechten Hand.
»Ich mag keine Leute, die die Regeln großzügig auslegen«, fuhr Rodriguez fort. »Auf lange Sicht richten sie mehr Schaden an, als die, die Regeln brechen. Sie behaupten immer, dass sie es nur machen, um etwas zu erreichen. Aber in Wirklichkeit tun sie es, weil es ihnen in den Kram passt. Sie tun es, weil es ihnen an Disziplin fehlt, und fehlende Disziplin ist der Tod jeder Organisation. Also sage ich es noch mal, Leute, laut und deutlich. In dieser Sache halten wir uns an die Regeln. An alle Regeln. Wir verwenden unsere Checklisten und füllen detaillierte Berichte aus. Wir geben sie pünktlich ab. Alles läuft über die vorgeschriebenen Dienstwege. Jede rechtliche Frage wird mit dem Büro von Bezirksstaatsanwalt Kline abgeklärt,
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