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Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number

Titel: Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Verdon
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weiter. Erste Theorien, Prioritäten, nächste
Schritte. Ein Mann wie du könnte uns eine große Hilfe sein und uns auf den richtigen Weg führen, damit wir keine Steuergelder verschwenden. Wär doch eine Schande, wenn wir Bauerntölpel auf deine Großstadterfahrung verzichten würden. Morgen Mittag. Am besten du bringst deine Aussage gleich mit.«
    Der Mann musste sich einfach wie ein Klugscheißer aufführen, er konnte nicht anders. Das war sein Platz auf der Welt: Klugscheißer Hardwick, Abteilung Schwerverbrechen, Bureau of Criminal Investigation, New York State Police. Doch unter der stachligen Oberfläche spürte Gurney, dass Hardwick seine Unterstützung wirklich wünschte bei einem Fall, der von Stunde zu Stunde seltsamer wurde.
     
    Auf der Heimfahrt schenkte Gurney seiner Umgebung kaum Beachtung. Erst im oberen Teil des Tals, als Abelard’s General Store schon hinter ihm lag, registrierte er, dass die am Morgen aufgezogenen Wolken verschwunden waren und der Sonnenuntergang die Westseite der Berge mit glühendem Licht überzog. Die schneebedeckten Felder, die an den gewundenen Fluss grenzten, waren in derart prächtige Pastelltöne getaucht, dass er vor Staunen die Augen aufriss. Dann verschwand die korallenrote Sonne überraschend schnell hinter dem Kamm gegenüber, und das Glühen erlosch. Die laublosen Bäume waren wieder schwarz, der Schnee wirkte wieder weiß und leer.
    Als er vor seiner Abzweigung abbremste, fiel ihm eine Krähe auf dem Seitenstreifen auf. Sie stand leicht erhöht über dem Boden und hatte etwas unter sich. Beim Vorbeifahren sah er genauer hin. Die Krähe hatte sich auf einem toten Opossum niedergelassen. Entgegen der für Krähen so typischen Vorsicht flog sie nicht auf und ließ
sich auch sonst durch das näher kommende Auto nicht aus der Ruhe bringen. In ihrer Reglosigkeit lag fast etwas Erwartungsvolles, was dem merkwürdigen Tableau die Qualität eines Traums verlieh.
    Gurney bog ab und schaltete für den langsamen, kurvenreichen Anstieg herunter. Er war erfüllt von dem Bild des schwarzen Vogels, der in der Dämmerung wachsam auf dem toten Tier saß.
    Es waren noch drei Kilometer - fünf Minuten - bis zu Gurneys Hof. Als er den schmalen Feldweg von der Scheune zum Haus erreichte, herrschte eine dämmergraue, kalte Atmosphäre. Ein geisterhafter Schneewirbel zog über die Wiese und erreichte fast den dunklen Wald, bevor er sich auflöste.
    Er parkte näher als üblich beim Haus und eilte mit hochgeschlagenem Kragen zur Hintertür. Sobald er die Küche betreten hatte, fühlte er, dass Madeleine nicht da war. Fast als hätte sie das leise Sirren von elektrischem Strom an sich, von einer Energie, deren Gegenwart einen Ort durchdrang, und deren Fehlen eine fast greifbare Leere hinterließ.
    Noch etwas anderes lag in der Luft: das emotionale Relikt des Morgens, die dunkle Gegenwart der Schachtel aus dem Keller, die im schattigen Teil des Raums noch immer auf dem Sofatisch stand, ohne dass ihr zartes weißes Band berührt worden war.
    Nach einem kurzen Umweg über das Bad neben der Speisekammer trat er direkt in sein Arbeitszimmer, um nach dem Anrufbeantworter zu schauen. Er hatte nur eine Nachricht. Sonyas seidenweiche Cellostimme. »Hallo David. Ich habe einen Kunden, der ganz begeistert ist von deinen Arbeiten. Ich hab ihm erzählt, dass du gerade ein neues Werk fertigstellst, und ich würde ihm gern Bescheid
geben, wann es verfügbar ist. Begeistert ist wirklich nicht zu stark ausgedrückt, und aufs Geld kommt es ihm anscheinend gar nicht an. Ruf mich an, sobald du kannst. Wir müssen da ein wenig die Köpfe zusammenstecken. Danke, David.«
    Als er die Nachricht gerade ein zweites Mal abspielen wollte, hörte er die Hintertür. Schnell drückte er auf die Stopp-Taste, um Sonya abzuwürgen und rief: »Bist du’s?«
    Er bekam keine Antwort, was ihn ärgerte.
    »Madeleine.« Er hob die Stimme mehr als nötig.
    Er hörte ihre Erwiderung, aber so leise, dass er sie nicht verstehen konnte. Eine Lautstärke, die er in feindseliger Stimmung als »aggressiv verhalten« bezeichnete. Sein erster Impuls war, einfach im Arbeitszimmer zu bleiben, aber das kam ihm kindisch vor, und so ging er hinüber in die Küche.
    Madeleine hatte hinten ihren orangefarbenen Parka an einen Haken gehängt und drehte sich gerade um. Die Schultern des Kleidungsstücks waren mit Schnee gesprenkelt, also war sie anscheinend durch die Kiefern spaziert.
    »Es ist sooo schön draußen.« Sie fuhr mit den Fingern durch

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