Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
korrupter sind als bei uns.«
Weil er sich von ihrer Empörung bedrängt fühlte, versuchte er es mit einem Themenwechsel. »Soll ich uns Omeletts machen?«
Ihr verbliebener Zorn kämpfte kurz gegen den Hunger an, der schließlich die Oberhand behielt. »Aber keine grünen Paprikaschoten. Die mag ich nicht.«
»Warum kaufst du sie dann?«
»Ich weiß nicht. Für Omeletts auf jeden Fall nicht.«
»Magst du Frühlingszwiebeln?«
»Nein.«
Sie deckte den Tisch, während er die Eier schaumig schlug und die Pfannen erwärmte.
»Willst du was trinken?«
Sie schüttelte den Kopf.
Er wusste, dass sie zu ihren Mahlzeiten nie etwas trank, aber er fragte trotzdem. Merkwürdige Marotte, immer diese Frage zu stellen.
»Erzähl mal, wie dein Tag gelaufen ist«, sagte sie.
»Mein Tag? Du meinst das Treffen mit den Leuten von der Mordkommission?«
»Nicht so berauschend?«
»O doch, sehr sogar. Wenn man ein Buch über dysfunktionale Teamdynamik, gesteuert von einem Captain aus der Hölle, schreiben möchte, braucht man nur dort sein Aufnahmegerät aufstellen und alles Wort für Wort transkribieren.«
»Schlimmer als in deiner früheren Abteilung?«
Er ließ sich Zeit mit der Antwort, aber nicht, weil er erst überlegen musste, sondern weil er etwas Angespanntes in dem Wort früher wahrgenommen hatte. Er beschloss, nur auf die Worte und nicht auf den Ton einzugehen.
»In New York gab es auch schwierige Leute, aber dieser
Captain aus der Hölle bewegt sich in einer ganz anderen Dimension von Arroganz und Unsicherheit. Er ist verzweifelt darauf bedacht, den Bezirksstaatsanwalt zu beeindrucken, hat keinen Respekt vor seinen Leuten und kein echtes Gespür für den Fall. Jede Frage, jede Bemerkung war entweder feindselig oder daneben, meistens beides.«
Sie musterte ihn forschend. »Überrascht mich nicht.«
»Was meinst du damit?«
Sie deutete ein Achselzucken an. Ihre Miene blieb verschlossen. »Nur, dass es mich nicht überrascht. Wenn du heimgekommen wärst und mir erzählt hättest, dass du noch nie so ein fähiges Team von Mordermittlern getroffen hast, das würde mich überraschen. Das ist alles.«
Er wusste genau, dass das nicht alles war. Aber er wusste auch, dass Madeleine klüger war als er und dass er sie durch nichts dazu bewegen konnte, über etwas zu reden, worüber sie nicht reden wollte.
»Na ja«, meinte er schließlich, »jedenfalls war es anstrengend und nicht gerade ermutigend. Und jetzt möchte ich nicht mehr daran denken und mich mit was ganz anderem beschäftigen.«
Dieser spontanen Bemerkung folgte geistige Leere. Sich einfach etwas ganz anderem zuzuwenden war nicht so leicht, wie es klang. Noch immer gingen ihm die Schwierigkeiten des Tages durch den Kopf, dazu Madeleines rätselhafte Reaktion. In diesem Moment drängte sich wieder das Thema vor, das schon die ganze letzte Woche an ihm genagt und seinen Widerstand ausgehöhlt hatte, das Thema, dem er verzweifelt aus dem Weg gegangen war, ohne es vergessen zu können. Doch diesmal brandete zugleich der unerwartete Entschluss heran, endlich zu handeln.
»Die Schachtel …«, krächzte er mit zusammengeschnürter Kehle. Er musste das Thema anschneiden, bevor ihn wieder die Angst lähmte. Doch er wusste nicht, wie er den Satz vollenden sollte.
Ruhig und aufmerksam blickte sie von ihrem leeren Teller auf und wartete darauf, dass er fortfuhr.
»Seine Zeichnungen … Was … Ich meine, warum?« Verzweifelt versuchte er, dem Wirrwarr widerstreitender Gefühle in seinem Herzen eine rationale Frage abzuringen.
Doch diese Mühe war überflüssig. Madeleines Fähigkeit, seine Gedanken in seinen Augen zu lesen, übertraf wie immer seine Fähigkeit, sie zu artikulieren.
»Wir müssen Abschied nehmen.« Ihre Stimme war sanft, entspannt.
Er starrte auf den Tisch. Nichts in seinem Kopf wollte sich zu Worten formen.
»Es ist schon so lange her«, sagte sie. »Danny ist von uns gegangen, und wir haben uns nie von ihm verabschiedet.«
Fast unmerklich nickte er. Sein Zeitgefühl löste sich auf, er spürte nur noch Leere.
Als das Telefon klingelte, hatte er den Eindruck, geweckt und zurück in die Welt gerissen zu werden - eine Welt vertrauter, messbarer, beschreibbarer Probleme. Noch immer saß Madeleine mit ihm am Tisch, aber er hatte keine Ahnung, wie lange bereits.
»Soll ich abnehmen?«, fragte sie.
»Nein, ich mach schon.« Er zögerte kurz, wie ein Computer, der eine Seite neu aufbauen musste, dann stand er leicht schwankend auf und trat ins
Weitere Kostenlose Bücher