Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
Arbeitszimmer.
»Gurney.« So hatte er sich in den vielen Jahren bei der Mordkommission immer gemeldet, und es fiel ihm schwer, diese Gewohnheit abzuschütteln.
Die Stimme, die ihn begrüßte, war heiter, forsch, auf künstliche Weise herzlich. Unwillkürlich fühlte er sich an eine alte Vertreterregel erinnert: Immer lächeln, wenn man am Telefon spricht, weil man dadurch liebenswürdiger klingt.
»Dave, ich bin froh, dass Sie da sind! Hier spricht Sheridan Kline. Hoffentlich habe ich Sie nicht beim Abendessen gestört.«
»Was kann ich für Sie tun?«
»Ich komme gleich zur Sache. Sie sind ein Mann, mit dem ich völlig offen reden kann. Ich kenne Ihren Ruf. Und heute Nachmittag habe ich ansatzweise erlebt, wie Sie ihn sich verdient haben. Das hat mich sehr beeindruckt. Ich will Sie aber nicht in Verlegenheit setzen.«
Gurney fragte sich, worauf Kline hinauswollte. »Sehr freundlich von Ihnen.«
»Das ist kein Kompliment, sondern die Wahrheit. Ich rufe an, weil dieser Fall nach jemandem mit Ihren Fähigkeiten schreit. Ich würde Sie gern für eine Zusammenarbeit gewinnen.«
»Sie wissen doch, dass ich in Pension bin.«
»Das habe ich gehört. Und ich kann mir vorstellen, dass Sie nicht wieder in die alte Tretmühle zurückwollen. Mein Vorschlag sieht ganz anders aus. Ich habe das Gefühl, dass das ein wirklich großer Fall wird, und deshalb wäre mir wichtig zu erfahren, was Sie darüber denken.«
»Ich verstehe nicht ganz, was Sie von mir erwarten.«
»Im Idealfall«, antwortete Kline, »dass Sie rausfinden, wer Mark Mellery ermordet hat.«
»Ist dafür nicht die Abteilung Schwerverbrechen des BCI zuständig?«
»Klar. Und mit ein bisschen Glück wird sie es vielleicht auch irgendwie schaffen.«
»Aber?«
»Aber ich möchte meine Erfolgschancen steigern. Dieser Fall ist so wichtig, da reicht ein routinemäßiges Vorgehen nicht aus. Ich möchte noch einen Trumpf im Ärmel haben.«
»Ich sehe nicht recht, wo ich da hineinpasse.«
»Sie können sich nicht vorstellen, für das BCI zu arbeiten? Keine Sorge. Hab schon gemerkt, dass Rod nicht so Ihr Fall ist. Nein, Sie wären mir direkt unterstellt. Wir könnten Sie als eine Art Sonderermittler oder -berater meines Büros führen, je nachdem, was Ihnen lieber ist.«
»Wie viel Zeit müsste ich dafür aufwenden?«
»Das liegt ganz bei Ihnen.« Als Gurney stumm blieb, fuhr Kline fort. »Mark Mellery hat Sie offenbar bewundert und Ihnen vertraut. Er wollte, das Sie ihm helfen, mit einem mörderischen Verfolger fertigzuwerden. Und jetzt bitte ich Sie, mir zu helfen, damit genau dieser Mörder zur Strecke gebracht wird. Egal, wie viel Zeit Sie mir opfern könnten, ich wäre Ihnen auf jeden Fall dankbar.«
Der Mann ist wirklich gut , dachte Gurney. Beherrscht die Ehrlichkeitsattitüde aus dem Effeff. »Ich rede mit meiner Frau darüber und rufe Sie morgen früh an. Geben Sie mir eine Nummer, unter der ich Sie erreichen kann.«
Das Lächeln in der Stimme war strahlend. »Ich gebe Ihnen meine Privatnummer. Sie sind bestimmt auch ein Frühaufsteher wie ich. Ab sechs können Sie mich anrufen.«
Als er wieder in die Küche trat, saß Madeleine noch am Tisch, aber ihre Stimmung hatte sich verändert. Sie las die New York Times . Er nahm im rechten Winkel zu ihr Platz, so dass er den alten Franklin-Holzherd vor sich hatte. Er starrte ihn an, ohne ihn wahrzunehmen, und rieb an seiner Stirn herum, als wäre die bevorstehende Entscheidung ein verspannter Muskel.
»Na, so schwer ist es doch nicht, oder?« Madeleine blickte nicht von der Zeitung auf.
»Was?«
»Das, worüber du nachdenkst.«
»Der Bezirksstaatsanwalt hätte gern meine Hilfe.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Normalerweise wird bei so was kein Außenstehender dazugeholt.«
»Aber du bist kein x-beliebiger Außenstehender.«
»Das Entscheidende ist wohl meine Verbindung zu Mellery.«
Sie musterte ihn mit ihrem Röntgenblick.
»Er ist mir ziemlich um den Bart gegangen.« Gurney gab sich unbeeindruckt.
»Wahrscheinlich hat er einfach nur deine Fähigkeiten beschrieben.«
»Im Vergleich zu Captain Rodriguez würde jeder eine gute Figur machen.«
Sie lächelte über seine unbeholfene Bescheidenheit. »Was hat er dir angeboten?«
»Eigentlich einen Blankoscheck. Ich würde direkt für sein Büro arbeiten. Natürlich muss man vorsichtig sein, dass man keinem auf die Zehen tritt. Ich hab ihm versprochen, mich bis morgen früh zu entscheiden.«
»Was zu entscheiden?«
»Ob ich es mache oder
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