Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
hinter sich nicht zugemacht. Ein besorgter Mensch in seiner Situation hätte sie bestimmt offen gelassen. Die Techniker sollen sich die mögliche Flugbahn überlegen und alle Innenwände absuchen, die in der Schusslinie gewesen sein könnten.«
Eilig gab Hardwick die Anweisungen durch und beendete das Gespräch.
»Gute Idee«, sagte Kline.
»Sehr gut«, bestätigte Wigg.
»Diese Zahlen …« Blatt rang noch immer mit dem Ausgangsthema. »Da muss doch irgendwie Hypnose oder außersinnliche Wahrnehmung im Spiel sein.«
»Kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete Gurney. »Aber was soll es denn sonst sein?«
Hardwick teilte Gurneys Auffassung. »Mein Gott, Blatt, wann hat die State Police zuletzt in einem Fall mysteriöser Bewusstseinskontrolle ermittelt?«
»Aber er hat gewusst, was der Typ denkt!«
Gurney schlug einen beschwichtigenden Ton an. »Es scheint so, als hätte jemand genau gewusst, was Mellery denkt, aber ich wette darauf, dass wir was übersehen haben, und die Lösung wird etwas viel Einfacheres sein als Gedankenlesen.«
»Ich möchte Ihnen eine Frage stellen, Detective Gurney.« Rodriguez lehnte in seinem Stuhl und hielt die rechte, von der linken Hand umschlossene Faust vor der Brust. »Es gab doch zahlreiche, immer deutlichere Hinweise in Form von Drohbriefen und -anrufen, dass Mark Mellery die Zielscheibe eines mörderischen Stalkers ist. Warum haben Sie sich nicht schon vor dem Mord an die Polizei gewandt?«
Gurney war auf diese Frage vorbereitet, trotzdem spürte er sie wie einen Stachel im Fleisch.
»Danke für die Anrede als Detective, Captain, aber diesen Titel habe ich bei meiner Pensionierung vor zwei Jahren zusammen mit meiner Marke und meiner Waffe abgegeben. Was die Meldung an die Polizei angeht, konnte ohne Mark Mellerys Kooperation nichts unternommen werden, und er hat mir deutlich zu verstehen gegeben, dass er zu keiner Kooperation bereit ist.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie ohne seine Zustimmung
nicht die Polizei einschalten konnten?« Rodriguez’ Stimme wurde lauter, seine Haltung steifer.
»Er war der Meinung, dass ein Eingreifen der Polizei eher schaden als nutzen würde, und hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er sich mit allen Mitteln dagegen zur Wehr setzen wird. Wenn ich die Sache gemeldet hätte, hätte er jede Zusammenarbeit mit Ihnen verweigert und die Verbindung zu mir abgebrochen.«
»Bloß dass ihm die Fortsetzung der Verbindung zu Ihnen auch nicht viel geholfen hat.«
»Da haben Sie leider Recht, Captain.«
Die Sanftheit seines Tons und das Fehlen jeder Gegenwehr in Gurneys Erwiderung brachten Rodriguez kurz aus dem Takt, und Sheridan Kline ergriff die Gelegenheit beim Schopf. »Warum war er so strikt dagegen, die Polizei einzuschalten?«
»Er hielt die Polizei für zu ungeschickt und inkompetent, um ein positives Resultat zu erzielen. Er war der Überzeugung, dass ein Polizeieinsatz seine Sicherheit kaum erhöhen, aber sehr wahrscheinlich das öffentliche Ansehen seines Instituts beschädigen würde.«
»Lächerlich«, fauchte Rodriguez gekränkt. »Elefant im Porzellanladen - diesen Vergleich hat er mehrmals bemüht. Er hat jede Kooperation mit der Polizei strikt abgelehnt. Das heißt, keine Polizei auf seinem Grundstück, kein Polizeikontakt zu seinen Gästen, keine persönlichen Informationen von ihm. Selbst vor rechtlichen Schritten hätte er nicht zurückgeschreckt, um sich die Polizei vom Hals zu halten.«
»Na schön, aber mich würde interessieren …« Abermals wurde Rodriguez von dem nun schon vertrauten Klingelton unterbrochen.
»Hardwick hier … Genau … Wo? … Fantastisch …
Okay, gut. Danke.« Er steckte das Telefon ein und wandte sich mit lauter, für alle hörbarer Stimme an Gurney. »Sie haben die Kugel gefunden. An einer Innenwand. Und zwar in der mittleren Diele des Hauses, in direkter Linie von der Hintertür, die anscheinend offen stand, als der Schuss abgegeben wurde.«
»Glückwunsch«, sagte Sergeant Wigg zu Gurney und dann zu Hardwick: »Gibt’s schon Erkenntnisse zum Kaliber?«
»Sie meinen, es ist eine.357, aber das letzte Wort haben natürlich die Ballistiker.«
Mit nachdenklicher Miene stellte Kline eine Frage in den Raum. »Könnte es sein, dass Mellerys Scheu vor der Polizei noch andere Gründe hatte?«
Auch Blatt, dem die Verwunderung ins Gesicht geschrieben stand, hatte noch etwas auf dem Herzen. »Was soll das heißen, ›elegant im Porzellanladen‹?«
26
Ein Blankoscheck
Nach der Fahrt durch
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