Die Handschrift des Todes - Verdon, J: Handschrift des Todes - Think of a number
nicht.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Du findest die Idee so schlecht?«
»Ich meine, soll es ein Witz sein, dass du dich noch nicht entschieden hast?«
»Da hängt aber einiges dran.«
»Mehr, als dir vielleicht klar ist, aber du wirst es natürlich machen.«
Sie vertiefte sich wieder in ihre Zeitung.
»Was soll das heißen: mehr, als mir vielleicht klar ist?«, fragte er nach einer langen Minute.
»Entscheidungen ziehen manchmal Konsequenzen nach sich, die wir nicht vorhersehen können.«
»Zum Beispiel?«
Ihr trauriger Blick zeigte ihm, dass das eine dumme Frage war.
Nach einer Weile sagte er: »Ich habe das Gefühl, dass ich Mark was schulde.«
In ihren Augen flackerte Ironie auf.
»Warum schaust du mich so an?«
»Das war das erste Mal, dass du ihn beim Vornamen genannt hast.«
27
Bekanntschaft mit dem Bezirksstaatsanwalt
Das Bezirksamt, das diesen farblosen Namen seit 1935 trug, hatte früher Bumblebee-Nervenheilanstalt geheißen. Dieses war 1899 dank der Großzügigkeit (und vorübergehenden geistigen Umnachtung, wie seine leer ausgegangenen Erben vergeblich argumentierten) des aus Großbritannien stammenden Namensgebers Sir George Bumblebee gegründet worden. Der mit Ruß aus einem Jahrhundert überzogene Backsteinbau ragte düster über dem Stadtplatz auf. Er stand ungefähr eineinhalb Kilometer weit von der Polizeizentrale und lag wie diese fünfundsiebzig Autominuten von Walnut Crossing entfernt.
Von innen war er noch unattraktiver als von außen. In den sechziger Jahren war das Haus entkernt und modernisiert worden. Schmuddelige Kronleuchter und Eichentäfelung wurden durch grelle Neonröhren und weißen Gipskarton ersetzt. Gurney überlegte, ob das gnadenlose moderne Licht vielleicht dazu diente, die verrückten Geister der früheren Bewohner in Schach zu halten - ein merkwürdiger Gedanke für einen Mann, der unterwegs war, um die Einzelheiten eines Arbeitsvertrags auszuhandeln. Besser, er konzentrierte sich auf die Worte, die ihm Madeleine am Morgen beim Aufbruch mitgegeben hatte: »Er braucht dich mehr als du ihn.« Sinnierend wartete er, bis er die elaborierten Sicherheitsvorkehrungen in der
Halle hinter sich gebracht hatte. Danach folgte er mehreren Pfeilen zu einer Tür, auf deren Milchglasscheibe in eleganten schwarzen Buchstaben das Wort BEZIRKSSTAATSANWALT prangte.
Bei seinem Eintritt blickte die Frau am Empfangstisch auf. Nach Gurneys Erfahrung suchten sich Männer ihre Sekretärinnen nach drei Kriterien aus: Kompetenz, Sex oder Prestige. Die Frau am Schreibtisch verfügte anscheinend über alles drei. Sie war zwar schon an die fünfzig, aber die Gepflegtheit von Haar, Haut, Make-up, Kleidern und Figur strahlte eine geradezu betörende Konzentration aufs Körperliche aus. Ihr taxierender Blick war kühl, aber auch sinnlich. Ein kleines Messingschild auf dem Tisch verkündete, dass sie Ellen Rackoff hieß.
Bevor einer von ihnen etwas sagen konnte, öffnete sich rechts von ihr eine Tür, und Sheridan Kline rauschte ins Empfangszimmer.
Er grinste mit einem Anflug echter Wärme. »Punkt neun Uhr! Das überrascht mich nicht. Ich glaube, Sie sind jemand, der genau tut, was er sagt.«
»Es ist leichter als die Alternative.«
»Was? Ach so, ja, ja, natürlich.« Breiteres Grinsen, aber weniger Wärme. »Mögen Sie lieber Kaffee oder Tee?«
»Kaffee.«
»Ich auch. Tee sagt mir gar nichts. Stehen Sie mehr auf Katzen oder mehr auf Hunde?«
»Hunde, glaube ich.«
»Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass Hundeliebhaber Kaffee bevorzugen? Tee ist was für Katzenfans.«
Gurney hatte keine Lust, sich mit solchen Belanglosigkeiten zu beschäftigen. Kline winkte ihn in sein Büro und lud ihn mit einer Geste ein, auf einem modernen Ledersofa Platz zu nehmen, während er sich selbst auf der anderen
Seite eines niedrigen Glastischs in einen passenden Sessel sinken ließ.
Eine Miene von fast komischem Ernst verdrängte das Grinsen. »Dave, ich möchte Ihnen sagen, wie froh ich darüber bin, dass Sie uns helfen wollen.«
»Vorausgesetzt, es gibt die geeignete Rolle für mich.«
Kline blinzelte.
»Wenn es um Zuständigkeiten geht, verstehen die wenigsten Leute Spaß«, ergänzte Gurney.
»Da sagen Sie was Wahres. Ich will ganz offen sein - die Hosen runterlassen, wie es so schön heißt.«
Gurney verbarg eine Grimasse unter einem höflichen Lächeln.
»Bekannte beim New York Police Department erzählen mir beeindruckende Dinge über Sie. Sie waren Chefermittler in mehreren
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