Die Hassliste: Roman (German Edition)
Kopf.
Mrs Tate kaute auf ihrer Unterlippe herum und schien ernsthaft über die Frage nachzudenken. »Die Leute sind, wie sie sind«, antwortete sie schließlich und drehte mit einem hilflosen, traurigen Schulterzucken die Handflächen nach oben.
Von allen Antworten war das wohl die letzte, die ich hören wollte.
2. Mai 2008
7:10 Uhr
»
Pass auf, Christy, die verhext dich noch …«
Meistens fand ich es einfach nur
absurd, dass Mom Frankie zur Schule brachte, weil er es nicht aushielt, mit dem Bus zu fahren, während ich mit dem Bus fuhr, weil ich die quälende Autofahrt mit Mom nicht aushielt. Aber es gab auch Tage, an denen ich mir wünschte, ich hätte mir einen Ruck gegeben und Moms morgendliche Moralpredigten über mich ergehen lassen. Manchmal war Busfahren nämlich die Hölle.
Meistens kroch ich auf einen Platz irgendwo in der Mitte, ließ mich in C-Form zusammensinken und hörte – mit den Knien am Vordersitz – Musik von meinem MP 3-Player . Ich versuchte, komplett abzutauchen.
Aber in letzter Zeit hatte mich Christy Bruter beim Busfahren extrem genervt. Das war eigentlich nichts Neues, schließlich hatte ich Christy Bruter noch nie ausstehen können. Sie war eins von diesen Mädchen, die nur darum beliebt sind, weil sich kaum einer traut, nicht mit ihnen befreundet zu sein. Christy war groß und stämmig, ihr Bauch ragte angriffslustig vor und mit ihren gigantischenOberschenkeln konnte sie Schädel zerquetschen. Trotz ihrer Figur war sie Spielführerin vom Softballteam – wie das zusammenging, hatte ich nie begriffen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Christy Bruter schneller als irgendwer sonst an der First Base ankam. Aber ab und zu muss sie das wohl geschafft haben. Oder der Trainer hatte einfach nicht genug Mumm gehabt, sich gegen sie zu entscheiden, wer weiß?
Jedenfalls kannte ich Christy schon aus dem Kindergarten und hatte mir seither nicht mal eine Sekunde lang vorstellen können, sie zu mögen. Umgekehrt war es genauso. Am ersten Elternabend im Schuljahr hatte Mom jedes Mal meine Lehrerin beiseitegenommen und sie gebeten, darauf zu achten, dass Christy und ich nie zusammen in einer Gruppe wären. »Ich denke, es gibt für jeden diesen einen Menschen …«, hatte Mom mit einem entschuldigenden Lächeln zu der Lehrerin gesagt. Christy Bruter war für mich dieser eine Mensch.
In der Grundschule hatte mich Christy jahrelang nur »Hasenzahn« genannt. In der sechsten Klasse hatte sie das Gerücht in die Welt gesetzt, ich würde Stringtangas tragen, was in dem Alter noch ein echter Skandal war. Als wir dann auf die Highschool kamen, beschloss sie, dass meine Art, mich zu schminken und anzuziehen, total daneben war, und begann, mich Todesschwester zu nennen, was die andern superkomisch fanden.
Zum Glück stieg sie immer erst zwei Stationen nach mir ein, sodass ich genug Zeit hatte, mit der Umgebung zu verschmelzen, bevor sie im Bus aufkreuzte. Angst vor ihr hatte ich zwar nicht, aber ich war es leid, mich dauernd mit ihr rumschlagen zu müssen.
Auch an diesem Morgen sank ich in meinen Sitz und rutschte nach unten, bis mein Kopf kaum noch über die Lehne ragte, dann steckte ich mir die Kopfhörer in die Ohren und schaltete den MP 3-Player ein. Aus dem Fenster spähend malte ich mir aus, wie gut es wäre, nachher Nicks Hand zu halten. Ich konnte es kaum erwarten, endlich in die Schule zu kommen und ihn zu sehen. Ich sehnte mich so danach, den Zimtkaugummi in seinem Atem zu riechen und in der Mittagspause meinen Kopf in seinen Arm zu schmiegen – ich würde mich sicher und beschützt fühlen und der Rest der Welt könnte mir nichts anhaben. Christy Bruter. Jeremy. Mom und Dad und ihre dämlichen »Diskussionen«, die jedes Mal in wüstes Gebrüll ausarteten und damit endeten, dass Dad aus dem Haus schlüpfte und in der Dunkelheit verschwand, während Mom in ihrem Zimmer dramatisch vor sich hinschniefte.
Der Bus hielt an der ersten Haltestelle, dann an der zweiten. Mein Blick klebte die ganze Zeit über am Fenster. Gerade beobachtete ich einen Terrier, der vor einem Haus eine Tüte mit Abfall durchwühlte. Sein Schwanz wedelte wild und sein Kopf verschwand fast ganz in der Mülltüte. Ich fragte mich, wie er da drin Luft kriegte und was er wohl Aufregendes gefunden haben konnte.
Der Bus fuhr wieder an und ich stellte meinen MP 3-Player lauter. Je mehr Leute einstiegen, umso schlimmer wurde nämlich der Krach. Ich lehnte den Kopf zurück und schloss die
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