Die Hazienda des Gluecks
Darf ich fragen, was Sie wünschen?"
Für die Bruchteile von Sekunden entstand eine Pause, dann antwortete er: "Ich möchte Sie sehen, Senorita, und ich werde Sie in ein paar Minuten mit dem Auto abholen."
"Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun, Senor", entgegnete sie. "Ich verlasse Stonehill ich habe meinen Marschbefehl erhalten, und ich werde in ein paar Minuten nicht mehr hier sein."
"Sie bleiben und warten auf mich", befahl er. "Ich habe Ihnen etwas zu sagen, was Ihren Vormund und ein Gespräch betrifft, das ich wenige Tage vor seinem plötzlichen Ableben mit ihm führte. Es ist sehr wichtig für Sie, dass Sie mich anhören - das wäre auch Senor Stonehills Wunsch gewesen."
"Ich - ich kann mir nicht vorstellen, was Marcus mit Ihnen besprochen haben könnte, was mich etwas anginge", wandte sie ein, denn ihre eigenen Probleme beschäftigten sie so sehr, dass sie sich jetzt mit niemand anders auseinandersetzen mochte - schon gar nicht mit diesem Mexikaner, der ihr genauso erbarmungslos vorkam wie die Verwandten ihres Vormunds. "Ich wusste, dass er spielt, aber ich hatte nichts damit zu tun ..."
"Ich spiele nicht, Miss Paget." Seine Stimme klang jetzt leicht ungeduldig. Er war anscheinend gewohnt, dass seine Befehle augenblicklich befolgt wurden. "Was ist los, haben Sie Angst davor, mich wiederzusehen?"
"Kommen Sie, wenn Sie meinen, dass Sie kommen müssen, Senor." Sie war zu müde, um sich noch länger zu streiten. "Ich werde draußen auf den Stufen warten, denn man duldet mich nicht länger unter dem Dach vom Stonehill."
Als der Wagen am Fuß der Treppe hielt, hockte Colette wirklich auf den Stufen. Sie hatte die wenigen schwarzen Sachen angezogen, die sie besaß. Ihr Koffer stand neben ihr, und das Porträt ihrer Mutter war dagegengelehnt. Die Wagentür öffnete sich, und heraus stieg der große, schlanke Mann, der einen tadellos sitzenden grauen Maßanzug trug. Er starrte mit seinen unergründlichen, dunklen Augen zu ihr hinauf, und Colette erwiderte seinen Blick.
Man sah ihr an, dass sie geweint hatte, denn Tränenspuren zeichneten ihre Wangen. Ihr Gesicht war verschmutzt von dem Staub auf dem Bild ihrer Mutter, das niemand seit dem Tag angerührt hatte, an dem es aufgehängt worden war.
"Sie sehen aus wie ein verheultes und dreckiges kleines Mädchen", tadelte er und drückte ihr ein blütenweißes Taschentuch in die Hand. "Säubern Sie Ihr Gesicht, Senorita, und kommen Sie mit."
"Ich - das werde ich nicht tun", begehrte sie auf und warf ihm einen rebellischen Blick zu.
"Wie kommen Sie eigentlich dazu, mir Befehle zu erteilen?"
"Weil ich der Mann bin", antwortete er bedächtig, "der Sie heiraten wird." Diese Bemerkung traf Colette so unvorbereitet, dass sie fast genauso weiß wurde wie das Taschentuch, das er ihr gegeben hatte. Ihre Finger umkrampften den feinen Stoff, und ihre Augen hatten den Ausdruck eines verstörten Kindes, mit dem die Erwachsenen auf einmal grausamen Spott trieben. Ihr ganzes Leben lang hatte Marcus sie vor so etwas geschützt, und bei dem Gedanken daran, dass sie diesen Schutz nun verloren hatte, liefen ihr wieder die heißen Tränen übers Gesicht.
"Por Dios!" Don Diablo beugte sich plötzlich über sie und hob sie mit jener mühelosen Leichtigkeit hoch, die sie schon kannte. Er trug sie zu seinem Wagen und setzte sie vorsichtig auf dem Rücksitz ab. Dann holte er ihren Koffer und das Porträt ihrer Mutter.
Er stieg zu ihr in den Fond des Wagens und schloss mit einer entschiedenen Bewegung die Tür hinter sich. Dann nahm dieser Fremde sie in die Arme und erlaubte ihr, sich an seiner Schulter auszuweinen.
"In Mexiko sagt man, dass es eine Zeit gibt, in der man Wasser trinkt, und eine Zeit, wo der Wein fließt. Es gibt eine Zeit der Tränen und eine Zeit der Freude. Weinen Sie sich gründlich aus, chica, und dann werden wir wie Mann und Frau miteinander sprechen."
Wie Mann und Frau, dachte sie verstört. Sie und dieser Mann, den sie kaum kannte, und der dennoch von Heirat geredet hatte? Als sie ihre Tränen trocknete und ihr Gesicht abwischte, sah sie die Schmutzspuren auf dem einstmals blütenweißen Taschentuch. Sie musste ja einen schönen Anblick bieten! In ihrer Hast hatte sie sich nicht einmal gekämmt, bevor sie aus dem Haus stürzte. Mit dem wirren Haar und dem verweinten Gesicht sah sie vermutlich alles andere als anziehend aus.
Marcus hatte sie dazu erzogen, peinlich genau auf ihre Erscheinung zu achten. Seiner Meinung nach hatte eine junge Dame stets
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