Die Hebamme von Venedig
Jüdin, die ein christliches Baby auf die Welt bringt und dabei dieses ungesetzliche Instrument benutzt? Das würde einem Untersuchungsrichter gar nicht gut gefallen, oder?«
»Ich bin Euch sehr dankbar«, sagte Hannah, die sich nichts sehnlicher wünschte, als dass er ihr die Löffel gab und sich verabschiedete.
»Ich für meinen Teil würde nichts lieber tun, als ihr gleich in diesem Moment noch ihre Vorrichtung zurückzugeben, aber eine Sache müssen wir vorher noch besprechen. Mein Bruder, der Conte, hat ihr eine hübsche Summe für die Hilfe bei der Niederkunft der Contessa gezahlt. Zweihundert Dukaten, wenn ich mich nicht irre.«
»Die ich mir redlich verdient habe. Die Contessa war eher tot als lebendig, als ich im Palazzo ankam.«
»Verstehe sie mich nicht falsch. Ich will den Wert ihrer Arbeit nicht herabsetzen. Es ist ihr Gebrauch der Hexerei, der mir Sorgen bereitet. Ich habe die Verpflichtung, sie zu melden. Das weiß sie doch, oder?«
»Ich kann genauso wenig hexen, wie ich mir Flügel wachsen lassen und von diesem Dach hinunter auf den Campo fliegen kann.«
»Das sagt sie .«
»Ich sage die Wahrheit.«
»Ich habe kein Verlangen, sie verfolgt zu sehen, Hannah. Das würde zu nichts nutze sein, und so bin ich bereit, meine Verantwortung zu ignorieren, aber der Preis für mein Versäumnis sind zweihundert Dukaten. Wenn sie ihre Vorrichtung zurückwill, schlage ich vor, dass sie das Geld heute Abend mitbringt. Unsere Gondel wird sie bei Sonnenuntergang abholen.« Jacopo wandte sich Richtung Treppe und setzte den Fuß auf die oberste Stufe, drehte sich aber noch einmal um. »Wir verstehen uns doch?«
»Diese Dukaten sollen das Leben meines Mannes retten.«
»Aber sie werden weder ihr noch ihm von Nutzen sein, wenn sie verhaftet und zu Tode gefoltert wird.« Er ließ die polierten Nägel seiner rechten Hand gegen die Knöpfe seiner Jacke klacken, und als könnte er ihre Gedanken lesen, fügte er gleich noch hinzu: »Glaube sie nicht, dass sie mir entkommen kann, indem sie nach Malta segelt. Die Balbiana hat reichlich Waren unserer Familie geladen. Ein Wort von mir, und der Kapitän lässt sie nicht an Bord.«
Sie wollte auf ihn losgehen. Sie war so voller Verzweiflung, und doch blieb ihr nichts, als zu nicken. Jacopo ging ohne ein weiteres Wort die Treppe hinunter.
Hannah brauchte Zeit zum Nachdenken. Sie kehrte zu ihrem Leintuch mit den Apfelstücken zurück, setzte sich und wiegte sich vor und zurück, und während sie die Fliegen verscheuchte, wurden die Nachmittagsschatten länger und länger.
Zurück in ihrem Loghetto, kurz vor Sonnenuntergang, wusch sie sich das Gesicht in ihrer Waschschüssel und schlüpfte in ihr einziges gutes Kleid, ein rotes Samtgewand mit einem gerade geschnittenen Mieder und einem vollen Rock mit seitlichen Seideneinsätzen. In Ermangelung eines Spiegels richtete sie sich das Haar über das Wasser in ihrer Waschschüssel gebeugt. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie erst die Haarnadeln fallen ließ, dann den Kamm, und unter das Bett kriechen musste, um alles wiederzufinden. Endlich steckte sie sich das Haarnetz um den Knoten fest und verließ das Zimmer.
Als sie auf den Campo trat, war es dunkel, und das schwarzrote Schild der Banco Rosso, der »Armenbank«, war unter dem Sotoportego kaum mehr zu erkennen. Erst dachte sie, Signore Rosso sei bereits nach Hause gegangen, aber dann sah sie ein Kerzenflackern im hinteren Teil des Raumes. Sie klopfte an die Tür, und ein ältlicher Mann, der so blass wie der Rabbi war, aber lauter Falten um die Augen hatte, kam, schloss ihr die Gittertür auf und ließ sie hinein.
»Hannah, meine Liebe. Ich habe mich schon gefragt, wann du kämst, um deine Dukaten zu holen.« Er gab ihr ihren kleinen Leinensack und wünschte ihr eine gute Reise. »Du siehst blass aus. Geht es dir nicht gut?«
»Ich bin nur etwas müde.«
»Mögen diese Dukaten Isaak die Freiheit bringen.«
Ein Impuls erfüllte sie, sich diesem gütigen, lieben Mann, den sie seit ihrer Kindheit kannte, in die Arme zu werfen und ihn um seinen Rat zu bitten. Dabei kannte sie ihre Möglichkeiten. Es war ganz einfach: Sie konnte Jacopo das Geld geben oder sich als Hexe verhaften lassen. Heute Abend brauchte sie das Lösegeld für Isaak, um ihr eigenes Leben zu kaufen. Sie verabschiedete sich von Signore Rosso, steckte die Dukaten in ihre Tasche und ging über den Campo auf das schwere Tor zu, das zum Rio della Misericordia führte, wo die Gondel des Conte wartete.
Ihre
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