Die Hebamme von Venedig
glatt, die Wangen waren gerundet und die Augen aufmerksam auf sie gerichtet. Sie strich ihm die Haare aus der Stirn. Die roten Male von ihren Geburtslöffeln waren verschwunden.
»Che meraviglia!« Sie hatte nie ein so schönes Kind gesehen. Matteo steckte in einer weißen Wickeldecke, in die das Familienwappen mit Goldfaden eingestickt war. Hannah zog die Decke etwas fester und spürte den Umriss ihres Amuletts auf seiner Brust.
Jetzt verzog sich das kleine Gesicht, Matteo schien hungrig und darauf zu warten, gestillt zu werden. Er schrie und warf den Kopf hin und her. Hannah spürte ein Ziehen in ihren Brüsten. Lucia musste es ähnlich gehen, denn sie ließ sich auf ihrem Bett nieder, setzte das Kätzchen ab und band sich das Vorderteil ihres Kleides auf. Dann bedeutete sie Hannah, ihr den Jungen zu geben.
»Vielleicht fließt meine Milch jetzt etwas besser.« Sie entblößte ihre Brüste vor Hannah, die mitfühlend zusammenzuckte, so schmerzhaft war es, die tiefen Risse um die Brustwarzen zu sehen. Im Ghetto hätte sich ihr keine Frau so gezeigt und sie so vertraut behandelt. Hannah fühlte, wie sie sich entspannte und die schwesterliche Nähe genoss.
Die meisten Patrizierinnen hatten Ammen, so dass sie frei waren, Gäste zu empfangen und sich zu amüsieren. Sie stillten ihre Kinder nicht selbst, und Lucia war außerdem viel zu krank dazu.
»Nehmt etwas Mandelöl. Das sollte helfen. Vielleicht gebt Ihr Euch ein paar Tage Zeit und lasst die Risse heilen, bevor Ihr es wieder versucht.«
Aber Lucia schien nicht zuzuhören und drückte sich ihr schreiendes Baby an die Brust. Hannah holte ein kleines Fläschchen Mandelöl aus der Tasche und gab es ihr.
»Ich versuche ihn selbst zu stillen. Meine Milch ist besser für ihn als die jeder Amme.«
»Will der Conte nicht, dass Giovanna ihn stillt, um Euch die Schmerzen zu ersparen?«
»Mein Mann hat große Angst, Matteo könnte … bei unseren übrigen Babys in der Familienkrypta enden, und er denkt, ich meine, er ist überzeugt, dass nur ich ihn stillen soll.«
»Euer Mann ist ein hingebungsvoller Vater.« Es rührte Hannah, dass der Conte selbst noch an Dingen wie dem Stillen des Neugeborenen Anteil nahm. Ihrer Erfahrung nach kümmerten sich die Väter kaum um ihren Nachwuchs, bis er zu sprechen begann. Vielleicht konnte sie mit dem Conte reden und ihn überzeugen, dass er Giovanna das Kind stillen ließ.
Lucias Bemühungen waren nicht erfolgreich. Hannah nahm der Contessa den Jungen wieder ab und wiegte ihn in ihren Armen, als das Schreien in ein Crescendo mündete. Matteo war mollig, und die Falten im Fett seiner Ärmchen sahen aus wie Armbänder. Wie immer sein Stillen geregelt war, Hunger litt er nicht. Vielleicht stillte Giovanna ihn trotz aller Wünsche des Conte.
Lucia streckte die Arme aus. »Bitte, gib ihn mir zurück«, sagte sie. »Der Doktor sagt, meine Lungen sind in schlechtem Zustand und dass sich daran nichts mehr ändern lässt. Ich will ihn genießen, solange ich kann.«
Wie konnte sie einer sterbenden Mutter auszureden versuchen, ihr Kind zu stillen? Sie gab Lucia den immer noch schreienden Matteo zurück.
Lucia klopfte neben sich auf das Bett und bedeutete Hannah, sich zu ihr zu setzen. »Ist Matteo nicht ein Schatz?«, sagte sie, als spräche sie mit einer Freundin und nicht mit ihrer Hebamme.
Das Kätzchen kam heran und schnupperte an Matteos winzigen Füßen. Hannah wünschte, die Contessa würde es vertreiben. Es war nicht gesund, Katzen in der Nähe von Babys zu haben.
»Ich habe nie ein hübscheres Baby gesehen.« Hannah warf einen Blick auf das Andachtsbild der Muttergottes mit ihrem Kind über Lucias Bett. Das kleine Christuskind glich Matteo. Mit seinem rotblonden Haar und den blauen Augen war Matteo sein lebendes Abbild.
Lucia hielt Matteo mit der einen Hand und kraulte mit der anderen dem Kätzchen den Bauch. Matteo spuckte ihre Brustwarze aus und fing erneut an zu schreien. »Ich muss gestehen, Hannah, dass mich seit seiner Geburt Sorgen quälen. Mir gehen ständig Gedanken im Kopf herum, dabei würde ich so gern einmal an nichts denken müssen.« Sie sah zu, wie Matteo röter und röter wurde. »Ich versuche ihm eine gute Mutter zu sein, aber statt seiner könnte ich auch ein Löwenbaby mit scharfen Raubtierzähnen stillen.«
Es war nicht das erste Mal, dass Hannah es mit einer überreizten, überforderten Mutter zu tun hatte. »Ihr hattet eine so schwere Niederkunft. Vielleicht solltet Ihr es mit Kräuteraufgüssen
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